Corona-Ausbrüche bringen Kreise bei Warnwerten unter Druck – Immerhin: Keine Gefahr für Lockerungen durch Müller Fleisch
Enzkreis/Pforzheim/Stuttgart. Dass zu den rund 320 bereits positiv auf Corona getesteten Mitarbeitern der Birkenfelder Großschlachterei Müller Fleisch bei einer zweiten Testreihe noch mal 82 Neuinfizierte dazugekommen sind, hat in der Region die Debatte um den unter Auflagen weiterlaufenden Betrieb des Unternehmens und die Bedingungen der Unterbringung für die vor allem betroffenen Werksvertragsarbeiter aus Osteuropa wieder aufflammen lassen. Das Unternehmen verteidigt im Gespräch mit der PZ seine getroffenen Schutzmaßnahmen, während der Enzkreis den Druck deutlich erhöht.
Müller-Fleisch-Fälle treiben Statistik nach oben
Im Kreis selbst und in Pforzheim oder im Kreis Calw, wo viele der Beschäftigten wohnen, treibt der jüngste Ausbruch die Infiziertenstatistik nach oben. Seit Bund und Länder die jüngsten Lockerungen von Corona-Einschränkungen an einen Schwellenwert von 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern und Woche geknüpft haben, bekommen diese Zahlen ein ganz anderes Gewicht. Muss sich die Region Sorgen machen, dass Erleichterungen wegen der Probleme bei dem Unternehmen zurückgenommen werden müssen? Nein, sagt dazu das Sozialministerium Baden-Württembergs auf PZ-Anfrage: Wenn „der Ausbruch klar auf den Betrieb der fleischverarbeitenden Firma zurückzuführen ist, werden keine Maßnahmen für die Gesamtbevölkerung getroffen“, so Sprecherin Claudia Krüger. Selbst wenn der Schwellenwert gerissen werden sollte. Noch ist es nicht soweit. Pforzheim ist landesweit am stärksten unter Druck. Die Stadt liegt derzeit im Vergleich zur kritischen 50-er-Grenze bei rechnerisch 27,8. Enzkreis und Kreis Calw haben deutlich mehr Luft.
Für Dr. Brigitte Joggerst, Leiterin des Gesundheitsamts Enzkreis-Pforzheim, ist der Fall in der Region klar: Müller Fleisch sei das beste Beispiel dafür, wie ein Einzelfall die Werte deutlich steigen lasse. Entsprechend konzentriere man die Gegenmaßnahmen auf den Betrieb und die Unterkünfte der Arbeiter. „Ganz allgemeine Maßnahmen wie Schulschließungen oder die Rücknahme anderer Lockerungen wären da wenig sinnvoll“, sagt sie. Der mittelbar betroffene Kreis Calw sieht das ganz genauso.
In NRW hat Landesregierung Produktionsstopp verhängt
Weniger Klarheit gibt es beim Tauziehen um die Schlussfolgerungen aus den Problemen in der Schlachterei-Branche, die durch das Virus offenkundig werden. Bei einem ebenfalls von einem Ausbruch betroffenen Großbetrieb in Nordrhein-Westfalen hatte die Landesregierung einen Produktionsstopp verhängt. Der Ruf danach war auch in der Region laut geworden. Das Sozialministerium Baden-Württemberg stellt sich auf PZ-Nachfrage ausdrücklich hinter die Schutzmaßnahmen, die man im Enzkreis in Zusammenarbeit mit dem Landesgesundheitsamt ohne Schließung getroffen habe. Ein Signal, dass das Land keinen Anlass zum Eingreifen sieht.
SPD-Bundestagsabgeordnete Katja Mast sieht das Wirtschaftsministerium in der Pflicht, mehr Handhabe zur Kontrolle von Arbeits- und Wohnbedingungen der Beschäftigten der Branche zu schaffen. Auf Anfrage bestätigt das Ministerium, dass es sich mit dem Zusammenhang dieser Strukturen mit den jüngsten Infektionen befasse. Man sei auch unabhängig von Corona der Ansicht, „dass eine Stärkung des staatlichen Arbeitsschutzes dringend erforderlich ist“, so Sprecherin Luzie Lotta Schmitt.