Heimsheim
Enzkreis -  22.06.2020
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Der Krise davongelaufen: Wie ein PZ-Redakteur mit seiner Familie von Pforzheim nach Basel wandert

Enzkreis/Basel. Obwohl die Grenzen nach und nach öffnen, lautet in der Corona-Zeit für viele die Devise: Urlaub in heimischen Gefilden. Wandern und Radfahren stehen hoch im Kurs. Raus in die Natur, weg von Menschenmengen und dem Virus. In der Hochphase der Corona-Einschränkungen an Ostern – als Hotels und Gasthäuser noch fast alle geschlossen waren – hat sich PZ-Redakteur Sven Bernhagen sein Zuhause auf den Rücken geschnallt und sich mit seiner Familie auf den Westweg gemacht. Als Selbstversorger in zehn Tagen gut 280 Kilometer von Pforzheim nach Basel – eine spannende Erfahrung.

Familie Bernhagen trat die weite Reise zu Fuß nach Basel gemeinsam an.
Familie Bernhagen trat die weite Reise zu Fuß nach Basel gemeinsam an. Foto: Bernhagen

Schlafsack, Isomatten – alles dabei!

Klettern und Wandern unter der Frühlingssonne Mallorcas? Schön wär’s gewesen. Aber dank Corona musste an Ostern ein Alternativplan her. Der Westweg! Unzählige Male drüber geschrieben, aber noch nie dort gewesen – das lässt sich ändern.

Und so steht er da, der Rucksack mit seinen gut 18 Kilogramm. Drinnen: Schlafsack, Biwaksack, Isomatten, Gaskocher und Töpfe, ein paar Klamotten, Wasser und Lebensmittel für mehrere Tage. Auch wenn man sparsam packt, kommt für die ganze Familie ganz schön was zusammen. Die Rucksäcke von Frau und Kindern – 11 und 15 Jahre alt – sollen ja entsprechend leichter sein.

Die Strecke

Wir sind als Selbstversorger unterwegs. Die Herbergen und auch die meisten Gasthäuser unterwegs haben zu dieser Zeit wegen Corona geschlossen. Unter diesen Voraussetzungen werden nicht viele den Westweg angehen – wo also soll man besser die geforderte „soziale Distanz“ halten können als auf den Höhen des Schwarzwalds? Um es vorwegzunehmen: Der Plan ist aufgegangen – gerade mal einer Handvoll Leute sind wir auf der Wanderung begegnet.

Die Wettervorhersage könnte besser nicht sein: eine Woche lang blauer Himmel, milde Temperaturen, kein Niederschlag. Also los! Grob orientieren wir uns an den 13 Etappen, die in den gängigen Wanderführern beschrieben sind. Nur dass unsere Tagesabschnitte eben nicht an den üblichen Übernachtungsstationen in der Zivilisation enden, sondern versetzt dazu bei Schutzhütten oder bei freien Lagerplätzchen.

So schießen wir schon am ersten Tag übers Ziel hinaus und aus den 26 Kilometern vom Pforzheimer Kupferhammer nach Dobel werden bis zum Weithäusleplatz stramme 31 Kilometer. Weiter geht’s zur Schwarzenbachtalsperre, zum Mummelsee und zur Alexanderschanze. Dort wird aus dem Quartett aufgrund von Ischias-Schmerzen allerdings ein Duo. Weiter geht’s nur noch mit dem jüngsten Spross der Familie. Der aber hat das Ziel fest im Blick: „Ich will den ganzen Westweg machen!“

Ab jetzt heißt es: Schutzhütten und Trinkwasser finden. Das Tempo bleibt flott, die Etappen lang – 25 bis 35 Kilometer. Über den Farrenkopf hinter Hausach – wo wir im Supermarkt Vorräte auffüllen – geht’s nach Brand und Titisee. Wir schlagen die Westvariante ein mit der Königsetappe auf den Feldberg. Durch den an Ostern noch reichlich vorhandenen Schnee geht’s über den Stübenwasen wieder hinab. Es läuft!

Fantastische Aussichten 

Aber klar ist: Die Lebensmittel, die wir in Hinterzarten mit einem Zwei-Kilometer-Umweg gebunkert haben, reichen nur noch für einen Tag. Einkehrmöglichkeiten werden wir dank Corona keine mehr finden auf dem Weg. Also heißt es, Zähne zusammenbeißen. Es folgt der schönste, aber auch längste Tagesabschnitt. 34 Kilometer – am Ende werden es dank eines Verhauers wegen sturmbedingt fehlender Bäume samt Schildern sogar 37 Kilometer – mit zwei knackig steilen Anstiegen auf die jeweils über 1000 Meter hohen Belchen und Blauen. Belohnt werden wir mit einer fantastischen Aussicht zurück auf den Schwarzwald, ins Rheintal und auf die Alpen.

Ein letztes Mal die Wasserflaschen an einer Quelle auffüllen, eine letzte, ruhige Nacht in der Schutzhütte am Hexenplatz – dann geht’s hinab nach Kandern und hinaus ins Markgräfler Land. Schaulaufen in milden Hügeln nach den Strapazen der Schwarzwald-Riesen. Hier tummeln sich am sonnigen Feiertag die Menschenmassen. Befremdlich nach der Einsamkeit der vergangenen Tage.

Und weil wir aufgrund der Corona-Beschränkungen eh nicht über die Schweizer Grenze kommen würden, lassen wir uns am frühen Nachmittag an der Burgruine Rötteln über Lörrach abholen, rund zehn Kilometer vor Basel. Hier steht das letzte Westwegtor – ein würdiger Abschluss für eine großartige Wanderung, auf der wir dem Virus einfach davongelaufen sind.