Gemeinderäte können jetzt per Video tagen - Rathäuser arbeiten schon an Umsetzung
Enzkreis/Stuttgart. „Baden-Württemberg setzt sich bei digitalen kommunalen Gremiensitzungen an die Spitze in Deutschland – wir sind hier nun Vorreiter“, lobt Innenminister Thomas Strobl die Verabschiedung des neuen Gesetzes im Landtag, das Gemeinde- und Kreisräten ab sofort offizielle Sitzungen per Videokonferenz erlaubt. Bürgermeister in der Region wollen das neue Instrument jetzt schnell einsetzen – auch wenn es starke Kritik am Gesetz gibt.
„Ich freue mich, dass das Land endlich den Weg frei gemacht hat für Gemeinderatssitzungen per Videokonferenz. Das bringt uns für unsere Arbeit die Erleichterung, die wir in der Krise brauchen“, begrüßt Bürgermeister Heiko Genthner aus Königsbach-Stein den Beschluss. Einige Gemeinderäte hätten dieses Format bereits gefordert, so Genthner. Leider sei deren Wunsch bisher rechtlich nicht zulässig gewesen.
Die Erfahrungen, die das Gremium mit den informellen Videokonferenzen vor Ort gesammelt habe, würden dafür sorgen, dass man jetzt „rasch startklar“ sei, so der Rathauschef: „Wir klären jetzt noch letzte Details, damit der neue Weg auch rechtlich einwandfrei eingeschlagen werden kann.“ Es sind diese Details, die dem Landtagsabgeordneten Erik Schweickert im jetzigen Gesetz sauer aufstoßen, obwohl er sich für die Videokonferenzen stark gemacht hat. Er ist überzeugt: „Eigentlich will die Landesregierung nicht, dass das Gesetz eingesetzt wird.“ Er kritisiert die Passage im Gesetz, die für Zuschauer einen separaten Raum im Rathaus vorsieht, in den die Sitzung übertragen werden soll. Dann würden die Menschen trotz gebotenem Abstand nämlich wieder aufeinander sitzen, ärgert sich Schweickert: „Das macht so viel Sinn, wie ein Senkblei fürs Schwimmen zu benutzen.“
Nur kleine Beschlüsse erlaubt
Auch die Umsetzung der Idee sieht Schweickert wegen der Internetverbindung im ländlichen Raum kritisch. Zuschaltungen per Telefon seien nach dem Gesetz nicht zulässig, so der Landtagsabgeordnete. Außerdem ist ihm der Interpretationsspielraum für die Anwendung von Videokonferenzen zu groß: Beschlüsse fassen dürfen die Ratsmitglieder nämlich nur bei „Gegenständen einfacher Art“ - andere Sachverhalte dürfen per Video nur in Ausnahmen, beispielsweise bei Naturkatastrophen oder aus Gründen des Seuchenschutzes, entschieden werden. Ob die Corona-Pandemie im jetzigen Ausbreitungsstadium noch darunter fällt, kann auch Schweickert nicht beantworten.
Neulingens Bürgermeister Michael Schmidt geht davon aus, dass die derzeitige Pandemie-Lage nicht ausreicht, um schwerwiegende Entscheidungen wie den anstehenden Bebauungsplan in Nußbaum offiziell per Video treffen zu dürfen. Deshalb strebe er eine „hybride“ Lösung für die nächste Gemeinderatssitzung an. Das heißt: Für wichtige Entscheidungen kommen die Räte in einer Halle zusammen – und die kleinen Entscheidungen, wie private Baugesuche, werden über die Videokonferenz abgehakt.
Auch nach Corona seien Videokonferenzen nutzbar, so Innenminster Strobl: „Sie sollen auch für in der Schwere vergleichbare Fälle in der Zukunft zur Verfügung stehen, in denen ansonsten eine ordnungsgemäße Sitzungsdurchführung nicht möglich wäre.“ Schmidt will die vorhandene Technik in Neulingen nutzen, wenn es zum Beispiel darum gehe, Besprechungen mit Planern abzuhalten. „Das wäre auch im Sinne des Klimaschutzes“, sagt Schmidt.
Video soll Ausnahme bleiben
Die technische Ausstattung stehe im Rathaus bereit, kleinere Probleme mit der Akustik würden noch behoben. Er schätzt, dass alle Mitglieder im Neulinger Rat bei der Idee mitziehen werden. „Natürlich will keiner nur noch auf diese Weise arbeiten“, sagt Schmidt. Und auch der Innenminister Strobl betont: „Sitzungen per Videokonferenz bleiben freilich die Ausnahme, sie sollen nicht dauerhaft die herkömmliche Arbeit der kommunalen Gremien in Form von Präsenzsitzungen ersetzen. Auch der Schoppen nach der Gemeinderatssitzung im Ratskeller gehört dazu - und der kann und soll freilich nicht digitalisiert werden.“