Heimsheim
Enzkreis -  02.09.2025
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Gewalt gegen Einsatzkräfte: So geht die Polizei in Pforzheim und in der Region damit um

Enzkreis/Pforzheim/Kreis Calw. Der Tod eines Beamten im Saarland rüttelt die Öffentlichkeit auf. Ein Räuber hatte ihn erschossen, als er gestellt wurde. Mit Angriffen bei Festnahmen oder Kontrollen leben Polizisten schon lange. Auch bei ganz gewöhnlichen Standardeinsätzen. Schläge, Tritte, Messer: Die Gefahren sind vielfältig. Und sie nehmen zu. In Pforzheim, im Enzkreis oder im Kreis Calw besonders seit dem Pandemiejahr 2020. Zuletzt waren es 221 Fälle binnen zwölf Monaten. Was bedeutet das für Polizisten? Und wie geht man im Präsidium Pforzheim mit der Situation um? Die PZ hat Antworten erhalten.

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Präsentation eines Tasers durch die Deutsche Polizeigewerkschaft. Sie fordert die Elektrowaffen auch für Baden-Württembergs Polizei. Als wichtigen Schutz zwischen Schlagstock und Pistole. Foto: picture alliance/dpa

Zwei Polizeibeamte des Reviers Pforzheim-Nord sind vergangene Woche einem Ladendieb auf den Fersen, stellen ihn in der Nordstadt – und sehen sich mit einem Messer und einem elektrischen Werkzeug konfrontiert. Der alkoholisierte Mann hört nicht auf, sich den Polizisten zu widersetzen, verletzt sie leicht bei der Festnahme. In Baiersbronn werden Beamte massiv körperlich angegangen, als sie mitten in der Nacht wegen lauter Musik und lautem Streit in einer Wohnung nach dem Rechten sehen. Ein Mann schlägt und tritt so um sich, dass ein Polizist ärztlich behandelt werden muss. Der Randalierer wird in einer psychiatrischen Einrichtung untersucht. In Bretten attackiert ein Dieb eine Streife, die ihn kontrollieren will ebenfalls mit Schlägen und Tritten, in einem anderen Fall rastet ein Mann einer Brettener Bankfiliale völlig aus. Auch hier wird ein Polizist leicht verletzt. Beim Täter geht man von einem „psychischen Ausnahmezustand aus“. Das sind nur einige Beispiele von Gewalt gegen Einsatzkräfte der Polizeipräsidien Pforzheim und Karlsruhe aus der Woche, in der Polizisten auch in der Goldstadt um einen Kollegen getrauert haben, den diese Gewalt im Saarland das Leben gekostet hat. Solche Szenarien beschäftigen Beamte auch in der Region. Fälle von Gewalt gegen Polizisten sind in der Region im Pandemiejahr 2020 sprunghaft nach oben geschossen – und bleiben seitdem auf dem hohen Niveau. 2024 waren es 221 Fälle – 97 mehr als noch 2015. Die PZ hat mit dem Präsidium und mit der Gewerkschaft darüber gesprochen, wie sie mit dieser Situation umgehen.

Das Präsidium erklärt, wie intensiv die Beamten den Ernstfall trainieren

Der Räuber, den Simon B. mit seinen Kollegen verfolgte, bekam im Gerangel die Waffe eines jungen Polizisten in seine Hand und schoss das ganze Magazin leer. Der 34-jährige B. starb. Vergangene Woche gedachten auch die Polizisten des Präsidiums Pforzheim dem Saarländer. Es ist ein Fall, der die ganze Republik mitnimmt. Wie aber geht man polizeiintern mit einem derart schlimmen Fall um?

Wichtig sei ein strukturiertes Angebot an psychologischer Betreuung und Nachsorge, sagt Pressesprecher Alexander Uhr. Kollegen würden im Alltag immer wieder mit belastenden Ereignissen konfrontiert, bei denen die eigenen Möglichkeiten zur Problemverarbeitung unter Umständen nicht mehr ausreichen könnten. Hilfe sei ein Fall für die Psychosoziale Beratung (PSB) des Polizeipräsidiums, die wiederum eng mit Polizeipsychologen, -ärzten und -seelsorgern zusammenarbeite. Zudem würden Einsätze regelmäßig gemeinsam aufgearbeitet.

„So soll verhindert werden, dass derartige Taten die Polizistinnen und Polizisten in ihrem Alltag hemmen“, sagt Uhr. Es gehe darum, ihnen die notwendige Sicherheit zu geben, „professionell, besonnen und mit klarem Kopf in jeder Lage handeln zu können.“

Uhr überblickt persönlich mehr als 30 Jahre Polizeiarbeit. In der Ausbildung und im Training habe Psychologie immer größeren Stellenwert: der Umgang mit Stress und Aggressionen, mit psychischen Auffälligkeiten, suizidalen Personen, Gruppendynamiken oder dem Einfluss berauschender Mittel. Beamte würden auch lernen, wie man Gespräche so führt, dass sie nicht eskalieren.

Parallel dazu, so Uhr weiter, seien auch die taktischen und einsatzpraktischen Inhalte fortlaufend weiterentwickelt worden. Auch hier finde regelmäßig eine Anpassung darauf statt, welche Einsatzmittel Polizisten zur Verfügung hätten und welche Lagen sie erwarten können. Die enge Verknüpfung von psychologischen Kenntnissen mit einsatztaktischem Training sei dabei fester Bestandteil.

Grundsätzlich gelte: Jeder Polizeibeamte im Streifendienst sei verpflichtet, jährlich mindestens 40 Trainingsstunden in verschiedenen Kernbereichen zu absolvieren. Das umfasst alles, also zum Beispiel Schießen, Abwehr- und Zugriffstechniken, Erste Hilfe, Fahrsicherheitstraining, das Verhalten in lebensbedrohlichen Einsatzlagen oder auch einsatztaktische Grundlagen. Das Thema Gewalt gegen Polizeibeamte stelle hierbei einen besonderen Schwerpunkt dar. Jeder Polizist trainiere derartige Szenarien jedes Jahr in mehreren Übungseinheiten, um bestmöglich vorbereitet zu sein. Das Ziel: das Wohl der Bevölkerung, aber eben auch das eigene Wohl zu schützen.

Eine weitere Reaktion der Polizei auf die Zunahme von gewalttätigen Übergriffen längst nicht nur bei besonders riskanten Einsatzlagen, sondern immer öfter auch bei alltäglichen Standardmaßnahmen betrifft die Ausrüstung. Die persönliche Schutzausstattung habe sich in den letzten Jahren kontinuierlich verbessert, sagt Uhr. Ein wichtiger Baustein dabei: der Einsatz der Bodycam. Was bringen die Kameras? Sie würden in vielen Situationen deeskalierend wirken, antwortet Uhr. Ein „erheblicher Mehrwert“ für den Schutz sowohl der Bürgerinnen und Bürger als auch der Polizeikräfte. Zugleich würden sie Transparenz schaffen und könnten im Nachhinein entscheidend zur Beweissicherung beitragen.

Polizeigewerkschaft fordert Elektroschock-Taser

„Die Gewalt nimmt zu. Der Respekt nimmt ab. Täglich spüren wir auch im Straßenverkehr Aggressionen. Immer weniger nimmt man Rücksicht auf andere.“ So schildert Ralf Kusterer die gesellschaftliche Situation, die auch seine Kollegen belaste. Der Huchenfelder ist Landesvorsitzender und stellvertretender Bundesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG). Kriminalitätsstatistiken, findet er, bilden die wahre Lage und das Sicherheitsempfinden der Menschen nicht ab. Und zusätzlich setze Personalmangel Polizisten im Alltag unter Druck. Auch in der Region.

Kusterer sagt, die Zeiten seien vorbei, in denen die Polizei alleine durch Präsenz für Ruhe und Ordnung sorgen konnte. Immer mehr Einsätze würden den normalen Rahmen sprengen. Sei es bei häuslicher Gewalt, Schlägereien, Randalierern. Immer öfter habe man es mit psychisch auffälligen und kranken Personen zu tun – mit unberechenbarem Verhalten. Kusterer befürchtet dahinter Folgen von verstärktem Cannabiskonsum und generell von Drogen und Alkohol.

Der Gewerkschaftsvorsitzende lobt zwar die Anstrengungen im Polizeipräsidium Pforzheim zur Vorbereitung der Beamtinnen und Beamten auf solche Herausforderungen. Auch neue Ausrüstungen wie Bodycams würden helfen. Aber in beiden Bereichen brauche es noch mehr. Das bedeute zum einen mehr personelle Kapazitäten für die Aus- und Fortbildung. Und auch weitere technische Mittel. „Als nächster Schritt muss die Einführung des Taser kommen“, fordert Kusterer. Erfahrungen in anderen Bundesländern würden zeigen, dass die Elektroimpulswaffen als Mittel zwischen dem Schlagstock und der Pistole Straftäter abschrecken. Bei Bodycams verlangt die Gewerkschaft verbesserte Nutzungsmöglichkeiten: „Während das polizeiliche Gegenüber mit dem Mobiltelefon einfach alles aufzeichnet und veröffentlicht, müssen die Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten gefühlt erst ein Jurastudium durchlaufen haben“, beklagt Kusterer.

Ein Riesenproblem sei, dass Polizeieinsätze in sozialen Netzwerken verbreitet würden. Kusterer: „Wir erleben Diffamierung und Hetze – Kolleginnen und Kollegen werden bis in den privaten Bereich verfolgt und belästigt.“ Attacken etwa auf Festen, weil jemand als Polizist erkannt werde, habe es zwar in der Region noch nicht gegeben, landesweit aber schon. Aber Anfeindungen und Bedrohungen im privaten Bereich erlebten auch Kollegen des Polizeipräsidiums Pforzheim.

Im Alltag würden Angriffe ohnehin zunehmen. Jeden Tag würden in Deutschland 300 Polizisten attackiert. Auch die rechtsanwaltliche Betreuung, die die Gewerkschaft anbiete, spreche Bände. 2024 hätten landesweit über 1000 dieser Fälle mit Beleidigungen und Körperverletzungen zu tun gehabt. Die „schlechten Gefühle“ seien ständige Wegbegleiter – auch wenn das starke Team zusammenhalte. Aber egal, um welche Maßnahmen es gehe – wichtig für Polizisten sei professionelles Handeln, sich nie sicher fühlen, immer mit allem rechnen, ständig wachsam sein. Die entsprechende Ausbildung sei nicht schlecht. Trotzdem fordert die Gewerkschaft einen Ausbau. Landesweit müssten Schulungsmöglichkeiten, die Fortbildung insgesamt, deutlich erhöht werden, so Kusterer. Im Grunde für alle Tätigkeitsfelder.