Natur im Fokus: Remchinger Landwirte setzten sich für Artenvielfalt ein
Remchingen/Enzkreis. Die Agrarpolitik der EU soll ab 2023 zugunsten von Ökologie und Nachhaltigkeit eine neue Ausrichtung bekommen: weniger flächengebundene Ausgleichszahlungen, dafür mehr Fördergelder für eine umwelt-, klima- und tierwohl-freundliche Bewirtschaftung. Für landwirtschaftliche Betriebe bedeutet das noch mehr Auflagen und produktionstechnische Einschränkungen etwa durch das teilweise Verbot von Pflanzenschutzmitteln. Im Enzkreis halte sich die große Mehrheit der Betriebe an die Vorgaben der Behörden und reize diese nicht bis aufs Äußerste aus, sagt Thomas Köberle, Geschäftsführer des Landschaftserhaltungsverbands Enzkreis (LEV).
Besonders für die Artenvielfalt sei das enorm wichtig, so Köberle, denn dafür helfe es, wenn es weniger Großbetriebe und dafür viele kleinere gebe. Je mehr Kulturarten angebaut würden, desto mehr profitieren Flora und Fauna. Großbetriebe hingegen setzten meist auf wenige Kulturen, um über die Masse in die Gewinnzone zu kommen – mit „Schlägen“; also Bewirtschaftungseinheiten, die viele Hektar oder sogar mehrere Quadratkilometer groß sein können. Die durchschnittliche Schlaggröße im Enzkreis mit 0,7 Hektar (landesweit 1,2 Hektar) sei im Vergleich ein echter Traumwert aus ökologischer Sicht, denn gerade auf die Ränder der Äcker, Wiesen und Felder mit Hecken oder Gräben komme es an.
„Je mehr Grenzlinien, desto besser für die Biodiversität“, betont Köberle. Und tatsächlich: Was die hiesige Artenvielfalt im bundesweiten Vergleich betrifft, spricht der Tier- und Pflanzenexperte von „paradiesischen Zuständen“, die er neben der bäuerlichen Landwirtschaft an zwei weiteren Voraussetzungen festmacht: den unterschiedlichen Naturräumen (Nordschwarzwald, Heckengäu, Stromberg, Kraichgau) sowie dem allgemein hohen Grünlandanteil.
Gefährdete Tier- und Pflanzenarten gebe es dennoch: Viele Amphibien zum Beispiel seien aufgrund der Trockenheit in den vergangenen Jahren ernsthaft vom Aussterben bedroht. Ein weiteres Risiko wird durch die ständige Versiegelung von Naturflächen forciert: Kommt es zwischen Lebensräumen zu keinem genetischen Austausch mehr, sterben Populationen früher oder später aus. Um dieses Szenario zu verhindern, setzt der LEV auf Biotopverbünde. Außerdem vergibt er Fördermittel zur Landschaftspflege. Sie stehen zwar nicht immer im Verhältnis zum Mehraufwand, aber bei solchen Entscheidungen stehe nicht das Geld, sondern die Natur im Fokus.
Das sehen auch Wilfried und Friedhelm Leonhardt aus Remchingen so: Die Brüder führen einen konventionellen Nebenerwerbsbetrieb mit 35 Hektar Acker- und Grünlandfläche. Ein Fünftel haben die Wilferdinger derzeit mit Blühmischungen besetzt. „Natürlich haben wir dadurch zunächst keinen direkten Nutzen, aber so können wir einen kleinen Beitrag zur Artenvielfalt leisten“, sagt Friedhelm Leonhardt. Phacelia, Kornblume, Klatschmohn oder Buchweizen samen aus und sind auch Jahre später noch auf den ehemaligen Blühflächen zu finden.
Ihre Einstellung teilen die Brüder mit anderen Remchinger Bauern. Auch für sie zählen das Einsäen von Blühstreifen, das Aufstellen von Bienenhäusern oder die Pflege von Streuobstwiesen ebenso zur täglichen Arbeit wie das Bewirtschaften ihrer vielfältigen Parzellen. Vermutlich hilft das Remchinger Neben- und Miteinander konventionell und ökologisch wirtschaftender Betriebe.
Die Nebenerwerbsbauern verdienen ihre Haupteinkommen in anderen Jobs, bauen insbesondere Kulturen wie Kartoffeln zur Direktvermarktung an und säen auch gern einige Hektar Blühbrachen ein. Durch den Milchviehbetrieb der Familie Bercher in Singen kommen weitere Kulturen auf die Gemarkung wie Kleegras und Luzerne. Heimische Eiweißträger sparen zugekaufte Futtermittel wie Soja – und die Blüten sind beliebt bei vielen Wildbienen. Energiepflanzen wie Raps und die mehrjährige Durchwachsene Silphie locken die Insekten mit ihrer gelben Blüte an.
Blau blühende Flächen gehören zur Familie Gay aus dem Ortsteil Nöttingen, die nach Bioland-Richtlinien arbeitet. Das Blau stammt vom Lein, der in der eigenen Ölmühle gepresst wird. So wie die Familie fast alles, was vielfältig auf den Flächen wächst, im Betrieb verwertet und vermarktet: verschiedene Getreidearten wie Dinkel, Emmer, Einkorn oder Nackthafer werden auf dem Hof gereinigt und nach dem Mahlen bei Mühle Beck in Weiler im Hofladen angeboten.
Die Remchinger Bauern setzen in ihren Betrieben und auf ihren Flächen vielfältige Maßnahmen zu mehr Umweltschutz und Nachhaltigkeit um. Mit der Neuausrichtung der Agrarpolitik ab 2023 werden sie also keine Probleme haben.