Heimsheim
Enzkreis -  04.10.2020
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Wenn die Verhandlung dreimal verschoben wird: So verrückt kann es am Amtsgericht Pforzheim zugehen

Enzkreis/Pforzheim. Wer in der Schule aufgepasst hat, wird sich noch dunkel an den „Prozess“ von Franz Kafka erinnern. In dem Roman sieht sich der Angeklagte Josef K. der Allmacht einer undurchsichtigen und quälend langwierigen Justiz gegenüber. „Kafkaesk“ wird so eine Situation seither offiziell im Duden genannt – am Amtsgericht Pforzheim müsste es jetzt „coronaesk“ heißen.

Verhandelt werden sollte am Mittwoch und Freitag vergangener Woche gegen drei Männer aus dem Enzkreis, die wegen Geiselnahme, Menschenraub, Morddrohung und gefährlicher Körperverletzung angeklagt sind.
Verhandelt werden sollte am Mittwoch und Freitag vergangener Woche gegen drei Männer aus dem Enzkreis, die wegen Geiselnahme, Menschenraub, Morddrohung und gefährlicher Körperverletzung angeklagt sind. Foto: Symbolbild: PZ-Archiv

Verhandelt werden sollte am Mittwoch und Freitag vergangener Woche gegen drei Männer aus dem Enzkreis, die wegen Geiselnahme, Menschenraub, Morddrohung und gefährlicher Körperverletzung angeklagt sind. Nicht nur warten die Männer schon ein ganzes Jahr auf ihren Prozess. Auch dessen Beginn gestaltete sich mehr als zäh: Ein Angeklagter musste einen Corona-Test abwarten – der erste Termin war nicht zu halten. Im Regelfall werden dann einfach neue Termine vereinbart. Aber den Regelfall gibt es seit Corona schon lange nicht mehr.

Neue Termine fast unmöglich

Wie Richter Andreas Heidrich klarstellte, seien alle Räume durch die hohe Falldichte belegt – neue Termine seien fast unmöglich. Und damit niemand auf die Idee kommt, wie bei Kafka auf dem Dachboden Recht zu sprechen, sollte am Freitag möglichst viel abgehandelt werden. 9 Uhr: Noch geht nichts, warten auf das Testergebnis des Angeklagten. Um 10.30 Uhr sollte Klarheit herrschen. Sollte. Die Hiobsbotschaft überbringt der Amtsbote, der neben einem Stapel Papiere auf einer Sackkarre auch den neuen Termin für die Verhandlung im Gepäck hat: verschoben auf 14 Uhr. Ratlos bleiben nicht nur die Angeklagten, sondern auch Staatsanwalt und Verteidiger vor verschlossenen Türen zurück. Die Zeugen seien schon alle ausgeladen, werden sie vor vollendete Tatsachen gestellt. „Und was verhandeln wir dann?“, fragen sich die Beteiligten. Das wusste auch besagter Josef K. nie so ganz genau.

Der Justiz kann man keinen Vorwurf machen. Richter Heidrich kämpfte sich telefonisch und schriftlich „mit allen möglichen Androhungen“ durch eine Arztpraxis und zwei Labore, um an das Testergebnis zu kommen. Vergeblich. Die verbliebene Zeit wurde für ein Rechtsgespräch zwischen Richter und Anwälten genutzt – natürlich hinter verschlossenen Türen. Immerhin wissen die Angeklagten, warum sie einmal angeklagt wurden. Heidrich hatte zwei von ihnen extra darauf hingewiesen, dass sie mit einem Geständnis mit Bewährung davonkommen könnten. Wenn sie nur endlich die Gelegenheit dazu bekämen.

Autor: heg