Kämpfelbach
Kämpfelbach -  08.10.2020
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PZ-Report: So werden seltene Insekten im Enzkreis geschützt

Kühler Wind bläst den steilen Hang hinauf und kriecht in die Jacken. Er zerrt am Laub auf den Bäumen. Das Rascheln überdeckt das Rauschen der Autos auf der B10 unten im Tal. Sonst schweigt sich die Ersinger Springenhalde ausnahmsweise aus. „Sie sind zu spät dran“, sagt Alina Schulz dem Grünen Landesumweltminister Franz Untersteller, der Landtagsabgeordneten Stefanie Seemann, Regierungspräsidentin Sylvia M. Felder, Kämpfelbachs Bürgermeister Udo Kleiner, Gemeinderätin Christine Fischer, Kreisbauernchef Ulrich Hauser und anderen beim Rundgang durchs Naturschutzgebiet. Die Studentin der Biodiversität und Umweltbildung zückt ihr Smartphone – und schon hört man, was sie den „Altgrasstreifen-Effekt“ nennt. Leise zirpt ein grünes Heupferd, dann Nachtigall-Grashüpfer. Mit jedem Schritt in Richtung der ungemähten Insel auf dem Wiesenhang wird der Gesang lauter. Langflüglige Schwertschrecken und andere Arten stimmen mit ein.

Es ist der Gesang einer artenreichen Natur, den die Naturschutzexperten des Regierungspräsidiums Karlsruhe (RP) zusammen mit der Studentin auf der Ersinger Springenhalde vorstellen. Der genaue Gegensatz zur Schreckensvision eines „stummen Frühlings“, an die Untersteller erinnert. Seit 2017 eine Studie das große Insektensterben belegt hat, ist der Schutz der Tiere auf der politischen Tagesordnung. „Zum Glück“, sagt Untersteller. So sehr, dass beim Ausgangspunkt des Rundgangs am Remchinger Sperlingshof Landratstellvertreter Wolfgang Herz und FDP-Landtagsabgeordneter Erik Schweickert auf einen Sprung für Informationen zum Naturschutzgebiet vorbeikommen – obwohl sie fast zeitgleich in der Sitzung des Sozial- und Kulturausschusses des Kreistags erwartet werden.

Hunger auf Insekten

Im kurzen Magerrasen leuchtet hellgrün und gelb eine übergroße Heuschreckenfigur. Weithin sichtbar. „Das ist das Problem für viele Insekten in Wiesen, die regelmäßig gemäht werden“, sagt Peter Zimmermann, beim RP zuständig für Artenschutz: „Sie sind leichte Beute für Räuber.“ Wo es viele Insekten gibt, gibt es auch viele Vögel – auf der Springenhalde zum Beispiel den seltenen Neuntöter, der seinen Namen seinem großen Hunger auf Insekten verdankt. Wenige Schritte daneben haben die Landwirte Ulrich Hauser und Theo Heckmann das ganze Jahr über nicht gemäht. Zwischen hohem Gras, abgeblühten Orchideen und anderen Wildblumen verbirgt sich eine weitere künstliche Heuschrecke. Gut getarnt. Die Kämpfelbacher Grüne Christine Fischer ist hartnäckig. Nach einigen Minuten entdeckt sie die Figur doch noch an einem Apfelbaumstamm.

Alina Schulz hat in ihrer Magisterarbeit untersucht, wie stark unberührte Wiesenstreifen Heuschrecken helfen. Stellvertretend für viele andere Insektenarten wie Schmetterlinge, Wildbienen oder Zikaden. Das Ergebnis: Ob auf der Springenhalde, an der Enz bei Mühlacker oder am Steiner Mittellberg – im hohen Gras finden sich auffallend viele Heuschrecken. Manche Arten leben nur im Altgras. Besonders eine, die erst seit der Klimaerwärmung zwischen Ersingen und Remchingen überwintert. Eine sieben Zentimeter große Gottesanbeterin kauert in einem Probenglas. Die mächtige Fangschrecke ist der Studentin zuvor in den Kescher gegangen – am Ende darf sie zurück in den Schutz des hohen Grases.

„Wir haben auch ein Gottesanbeterinnenpaar entdeckt, das sich gepaart hat“, sagt Zimmermann.

„Dem Männchen geht es dann jetzt nicht so gut“, sagt Untersteller. Die Fangschreckenweibchen fressen Männchen manchmal nach der Paarung auf. Oder währenddessen. Die Studentin zeigt weitere Beispiele vom Leben in der Wiese. Heuschrecken in allen Größen hüpfen durch die Gläser. Darunter sind welche, winzig wie Mücken: Dornschrecken.

Martina Büttner vom Naturschutzreferat des RP und der stellvertretende Leiter Jens Jeßberger erklären, wie in Absprache mit Hauser und Heckmann immer wechselnde Wiesenflächen übers Jahr stehenbleiben. Wie lange man mit dem Mähen aussetzen könne, will Stefanie Seemann wissen. Ein Jahr schon, sagt Hauser, viel länger aber nicht. „Vor unseren Pflegeeinsätzen war hier alles verbuscht und zugewachsen“, sagt der Eisinger und deutet auf die jetzt offene Landschaft. Ohne Mähen oder Beweisung hätten Orchideen und andere Wiesenpflanzen schlechte Karten.

Untersteller, seit 2011 im Amt, sagt, er habe das Geld für Landschaftsschutz in dieser Zeit verdreifacht. Auch bei der Vernetzung von Biotopen tue das Land einiges. Dennoch: Schutzgebiete, laut Regierungspräsidentin Felder das „Herzstück des Naturschutzes“ machen nur drei Prozent der Landesfläche aus. Die Springenhalde ist mit 36 Hektar eher klein.

„Es geht darum, dass wir so tolle Projekte wie hier in die landwirtschaftlichen Flächen übertragen können“, sagt der Minister.

Hausers Reaktion zeigt, dass das nicht leicht ist. Wie er an seinen Feldern Altgrasstreifen so anlegen könnte, dass es den Insekten hilft, fragt er. Die Antwort: Je nach Art sind die Bedürfnisse anders. Zimmermann empfiehlt alle 20 oder 30 Meter einen Streifen. Hauser ist skeptisch. Aber er hat noch eine andere Idee und nimmt Kämpfelbachs Rathauschef beiseite. Kleiner stürmt kurz darauf den Hang hinauf zu Untersteller. „Kann ich solche Altgrasstreifen anlegen, um Ausgleich für Baugebiete zu schaffen?“ Ein paar Ökopünktchen könnte das geben.

Autor: hei