Kieselbronn
Kieselbronn -  17.06.2023
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Rettung aus der Luft: Drohnen bewahren Rehkitze in Kieselbronn vor dem Tod

Kieselbronn. Rehkitze halten sich gern in hohen Wiesen auf. Doch dort sind sie alles andere als sicher. Denn Landwirte können die Rehkitze beim Mähen leicht übersehen. Eine Begegnung mit der Mähmaschine endet für den Rehnachwuchs meistens tödlich. Mithilfe von Drohnen wird daher nach den Rehkitzen gesucht. PZ-news hat sich in Kieselbronn angeschaut, wie das genau abläuft.

Pilot Thomas Kälber steuert die Drohne über dem Gewann Schneit in Kieselbronn. Auf einem Bildschirm wird die Aufnahme verfolgt.
Pilot Thomas Kälber steuert die Drohne über dem Gewann Schneit in Kieselbronn. Auf einem Bildschirm wird die Aufnahme verfolgt. Foto: Nico Roller

Während langsam der Tag beginnt, die Sonne am dunkelblauen Himmel hinter dem Horizont auftaucht und die Felder in ein warmes, orangenes Licht taucht, gleitet in mehr als 50 Metern Höhe surrend eine Drohne durch die Lüfte am Ortsrand von Kieselbronn in Richtung Enzberg. Sie wiegt insgesamt rund 3,8 Kilogramm, ist mit einer Weitwinkel- und einer Wärmebildkamera ausgestattet. Mit ihr sucht Thomas Kälber nach Rehkitzen, die sich im hohen Gras aufhalten und dadurch Gefahr laufen, von landwirtschaftlichen Geräten erfasst zu werden.

Geübter Drohnenpilot

Voriges Jahr ist eines von ihnen auf einem Feld nahe Kieselbronn totgemäht worden. Ein Vorfall, der in der Region für Schlagzeilen und Betroffenheit gesorgt hat. Um Derartiges künftig zu verhindern, heben in der Region aktuell fast täglich mit spezieller Kameratechnik ausgestattete Drohnen ab.

„Das Fliegen an sich ist einfach“, sagt Kälber: „Das Erkennen ist bei der Kitzsuche die Herausforderung.“

Kälber hat viel Erfahrung und weiß genau, worauf er achten muss. Er ist Vorsitzender der BRH Rettungshundestaffel Nördlicher Schwarzwald und hat vor allem in der warmen Jahreszeit gut zu tun. Er schätzt, dass er für die Rehkitzrettung pro Saison 15 bis 20 Flugtage absolviert.

Wann er im Einsatz ist, hängt immer vom Wetter ab. In Kieselbronn ist es am Mittwoch ideal gewesen. Landwirte aus dem Ort haben sich bei Kälber gemeldet und ihn gebeten, vor dem Mähen ihre Felder zu überfliegen, die unter anderem im Gewann „Schneit“ liegen.

Weil das Gebiet groß ist, lässt Kälber die Drohne an mehreren Stellen abheben. An der ersten entdeckt er nichts – mit Ausnahme eines ausgewachsenen Rehs, das auf dem Weg Richtung Waldrand ist.

Aber an der zweiten Stelle wird er fündig: Ein Rehkitz liegt auf einer Wiese, die später gemäht werden soll. Um es zu schützen, wird eine luftdurchlässige Kiste vorbereitet, die über das Tier gelegt werden soll, bis der Mähvorgang abgeschlossen ist. In die Höhe ragende Fahnen sorgen dafür, dass der Landwirt die Stelle auch vom Traktor aus erkennt und umfahren kann.

„Diese Vorgehensweise bedeutet für das Kitz am wenigsten Stress“, erklärt Kälber, der einem Suchtrupp über Funk durchgibt, wo genau sich das Tier befindet. Denn vom Boden aus ist es nicht zu erkennen. Als sich der Suchtrupp nähert, raschelt es im hohen Gras, das Rehkitz steht auf – und springt davon. „Das war schon etwas älter“, erklärt Kälber. Die Augen hat er auf einen Bildschirm gerichtet, der sich in der Mitte des Steuerungsgeräts zwischen etlichen Tasten und Knöpfen befindet.

Feine Motorik

Mit kleinen Bewegungen seiner Finger lenkt Kälber die Drohne durch die Luft. Um sie steuern zu dürfen, braucht man eine Erlaubnis. Kälber besitzt die höchste, die es gibt: das sogenannte Fernpilotenzeugnis A2. 30 Minuten kann die Drohne am Stück in der Luft bleiben, bevor der Akku gewechselt werden muss. „In der Zeit schafft man etwa 15 Hektar“, erklärt Kälber, der bereits im Vorfeld alle Routen programmiert hat – und zwar auf der Basis von Luftbildern, auf denen die Landwirte ihre Grundstücke eingezeichnet haben. „Das geht relativ einfach“, sagt der erfahrene Drohnenpilot, der das Fluggerät auch zur Personenrettung und im Gebäudemanagement einsetzt.

Auch nach Wildschweinkadavern hat Kälber im Auftrag des Landes schon gesucht. Die von ihm verwendete Drohne kostet einen niedrigen fünfstelligen Betrag, ist spritzwassergeschützt und kann auch bei leichtem Regen abheben. Zwar hat das Gerät in der Theorie eine Reichweite von bis zu fünf Kilometern, die Kälber bei der Rehkitz-Rettung aber nicht ausnutzt: Sinnvoll sei die Suche nur in einem Radius von 600 bis 800 Metern.

Große Sensibilität

Basierend auf Erfahrungswerten, schätzt Kälber, dass auf einer Fläche von zehn Hektar zwei bis drei Rehkitze zu finden sind. Aber es gibt auch Ausnahmen. So berichten Kieselbronner Landwirte, dass vorige Woche bei der Drohnensuche insgesamt 14 Tiere entdeckt wurden, von denen neun tatsächlich mit einer Kiste abgedeckt werden mussten.

Insgesamt beobachtet Kälber bei den Landwirten eine große Sensibilität für das Thema. Inzwischen existiert im Enzkreis ein Netzwerk von zehn Piloten-Teams, die unter anderem aus dem Jagd- und dem Naturschutzbereich kommen. Kälber sagt: „Das Wichtigste ist die Kommunikation zwischen Landwirt und Jagdpächter.“

Ehrenamtliche Rehkitzretter sind in zahlreichen Gemeinden im Einsatz

In vielen Gemeinden der Region gibt es engagierte Menschen, die sich der Rettung von Rehkitzen in der Mähsaison verschrieben haben. So hat im Jagdrevier von Ulrich Ziegler in Kieselbronn kürzlich Drohnenpilot Manuel Nikolaus die Wiesen von Landwirt Oliver Bischoff abgesucht, bevor diese gemäht wurden. In mehreren Stunden akribischer Suche konnten so 14 Rehkitze gerettet werden.

Auch die DLRG-Ortsgruppe Mönsheim war aktiv. Auf den Feldern und Wiesen rund um Mönsheim, Friolzheim und Wimsheim hat die „Fachgruppe Drohnen“ heimische Landwirte und Jagdpächter bei der Suche nach Kitzen unterstützt. Um die Jungtiere aufzuspüren, kam eine Drohne mit Wärmebildkamera zum Einsatz, die die Bilder auf einen Monitor im Einsatzleitwagen überträgt.

Wird ein Kitz entdeckt, werden die Piloten zum Stopp aufgefordert, um die Position genauer zu untersuchen. Sollte sich der Fund bestätigen, stehen Helfer bereit, um mit Handschuhen, Gras und Kisten zum Fundort zu eilen und die Rehkitze bis zum Ende des Mähens an den Feldrand zu bringen. Danach werden sie zurück gesetzt. In den vergangenen Wochen konnte das DLRG so mehrere junge, zum Teil frischgeborene Rehkitze vor dem Tod retten. Auch die Piloten und Auswerter profitieren von der Übung: Die gewonnene Erfahrung hilft dem DLRG später bei der Suche nach vermissten

Personen. 

Autor: Nico Roller /Lisa Belle/pm