„Wengert“: Als in Kieselbronn noch Wein angebaut wurde
Die „Alte Hälde“ heißt bei vielen Kieselbronnern einfach „Wengert“. Das Gebiet liegt am Ortsrand Richtung Dürrn. Früher hat es dort viel Weinbau gegeben – spätestens ab dem Mittelalter und dann über Jahrhunderte „relativ intensiv“. Ein Rundgang.
Kieselbronn. Schritt für Schritt, Meter um Meter geht es durch die Natur: durch ein idyllisch gelegenes Tal mit saftigen Wiesen und bewaldeten Hängen, einen steilen Hügel hinauf und einen malerischen Weg zwischen Gärten entlang. Fast zwei Stunden sind die Teilnehmer an einem sonnigen Sonntagnachmittag unterwegs, um mit der Kieselbronner Umweltliste bei einem heimatkundlichen Rundgang ein Areal zu erkunden, das seinen Charakter im Lauf der Zeit stark verändert hat.
Wo einst Wein kultiviert wurde, befindet sich heute ein Freizeit- und Hüttengebiet. „Alte Hälde“ heißt das Gewann, das sich am Ortsrand von Kieselbronn in Richtung Dürrn auf der rechten Seite befindet. Es liegt am Hang und erstreckt sich auf einer Länge von rund einem Kilometer. Unten wird es vom Schlupfgraben begrenzt, oben von Äckern und Obstwiesen.
Hans Augenstein weiß, dass die Einheimischen auch heute noch „Wengert“ dazu sagen: ein klarer Hinweis auf den Weinbau, der dort an den in Richtung Süden liegenden Hängen einst stattgefunden hat. In ihnen besitzt auch Augenstein ein Grundstück mit einer Hütte, die er passend zur Vergangenheit des Gebiets einfach „Wengerthäuschen“ nennt. An ihr endet am Sonntagnachmittag der Rundgang der Umweltliste, den Augenstein zusammen mit Jochen Hittler, Jochen Ruß, Willi Lötterle und Theo Schaufelberger leitet. Rund 70 Teilnehmer sind gekommen, darunter auch einige Familien mit Kindern. Sie staunen nicht schlecht, als sie erfahren, dass nur wenige Meter von ihnen entfernt einst Reben standen. Wann der Weinbau in Kieselbronn begonnen hat, kann Augenstein zwar nicht genau sagen. Aber er hält es für möglich, dass ihn schon die alten Römer betrieben haben. Denn auf der Gemarkung gibt es eine römische Siedlung. Wenn nicht bereits in der Antike, hat es den Weinbau spätestens seit dem Mittelalter und dann über Jahrhunderte „relativ intensiv“ gegeben. Denn früher war das Wasser noch nicht so sauber wie heute. Hittler kann sich noch erinnern, wie seine Oma als kleiner Bub vermutlich im Spaß zu ihm gesagt hat: „Trink nicht so viel Wasser, sonst bekommst Du ein blaues Gesicht.“ Konsumiert man Wein heute hauptsächlich zum Genuss, war er früher ein Grundnahrungsmittel. Allerdings in Kieselbronn wohl kein besonders hochwertiges und kein übermäßig wohlschmeckendes. Zumindest deutet darauf eine Stelle hin, die Augenstein in einer um das Jahr 1900 verfassten Ortschronik gefunden hat. Dort heißt es über den Kieselbronner Wein, er sei „sauer und gering“ und könne deswegen „nur an die Waldorte verkauft“ werden. Wann der Weinbau in Kieselbronn endete, können Augenstein und Hittler nicht genau sagen. Aber sie gehen davon aus, dass der Niedergang bereits in der Mitte des 18. Jahrhunderts eingesetzt hat. Ein Grund dafür war aus ihrer Sicht, dass in anderen Gegenden mit weniger Aufwand besserer Wein erzeugt werden konnte. Etwa im Stromberg, der sich schnell zu einer starken Konkurrenz entwickelte. Er verfügt über einen Keuperboden, der das Wasser besser speichert. Im Kieselbronner „Wengert“ besteht der Boden dagegen aus wasserdurchlässigem Muschelkalk, zumindest an den Hängen. Im oberen, flacheren Bereich findet man heute noch Löss, der Wasser und Nährstoffe deutlich besser speichert. Hittler geht davon aus, dass er einst auch auf den Hängen zu finden war, dann aber im Lauf von Jahrtausenden hinunter ins Tal gespült wurde, wo er für fruchtbares Acker- und Wiesenland sorgt. Dass die Hanglagen über einen relativ unfruchtbaren Muschelkalk-Untergrund verfügen, deutet auch der heutige Name des Gebiets an: „Alte Hälde“ steht für einen trockenen, steinigen Hang. Als die Weinreben dort mutmaßlich ab der Mitte des 18. Jahrhunderts auf dem Rückzug waren, nahm der Obstbau immer mehr zu. Er war einfacher zu betreiben und lieferte mit dem Most auch eine praktische Alternative zum Wasser.
Zwar wurden die meisten Obstbäume auf dem oberen, flacheren und nährstoffreichen Bereich kultiviert, einige aber auch an den unfruchtbareren Hängen, vor allem Zwetschgen- und Nussbäume, weil diese weniger Wasser benötigen als Äpfel und Birnen. Viele von ihnen stehen bis heute in den Gartengrundstücken. Hittler weiß, dass es in der Region noch einige andere Gebiete gibt, die eine ähnliche Geschichte haben. Er legt großen Wert auf die Feststellung, dass der Weinbau in Kieselbronn nicht von heute auf morgen plötzlich weg war. Stattdessen handelte es sich um einen Prozess, der sich über Jahrzehnte, vermutlich sogar über Jahrhunderte hingezogen hat. Das belegen auch alte Fotografien aus den 1950er-Jahren. Sie zeigen, dass damals im vorderen Teil des Gebiets in Richtung der Dürrner Straße auf einer kleinen Fläche noch Reben standen, die allerdings nur noch von Hobbywinzern bewirtschaftet wurden.