Knittlingen
Knittlingen -  09.12.2019
Artikel teilen: Facebook Twitter Whatsapp

Vier Hände für Schubert: Sontraud Speidel und Franziska Lee begeistern in Knittlingen

Knittlingen. Harmonisch ist ihr Zusammenspiel, bis ins kleinste Detail, bis in die ausgefallensten Miniaturen hinein. Fast scheint es, als hätten Sontraud Speidel und Franziska Lee nie etwas anderes getan als zusammen Werke Franz Schuberts zu musizieren – so akkurat ist ihre Spielweise, als sie am Samstag bei einem Konzert des Forums Bau und Kultur im Rahmen der Reihe „Meisterwerke der Musik“ im evangelischen Gemeindehaus in Knittlingen am Flügel sitzen.

Ihre Arme streben weit auseinander, gleiten über die Tasten des Klaviers. Ihr Spiel ist voller Leidenschaft, aber nie pathetisch, nie überladen, sondern immer durchdacht. Schlampereien gibt es bei Lee und Speidel nicht, niemals. Und sie nehmen eine feinfühlige Interpretation vor: eine, die jedes einzelne Stück zelebriert und in der Spielweise versucht, seinen Charakter einzufangen. Es gelingt ihnen meisterlich. Es ist erhellend, weil man einen Eindruck davon bekommt, wer Schubert war. Ein Genie mit 31 Jahren, dem mit gerade mal 31 Jahren die damals noch tödliche Syphilis zusetzte. Seine gewaltige f-Moll-Fantasie (op. 103 D 940) gibt einen Eindruck davon. Gefühlvoll inszenieren Lee und Speidel die Kontraste, die in diesem Werk aufscheinen, das voller Melancholie und Schwermut ist und insbesondere im ersten Satz gleichzeitig fröhlich-heitere Passagen beinhaltet, die allerdings nie dominierend wirken. Die Ekstase weicht der Verzweiflung, die Helligkeit dem Trübsal. Ein faszinierendes Stück, das Lee und Speidel so klar und so deutlich interpretieren, dass dem Zuhörer klar wird, wie Schubert sich gefühlt haben muss, als er es wenige Monate vor dem vermutlich nicht durch besagte Syphilis, sondern durch Typhus, herbeigeführten Tod komponierte: einsam und verzweifelt. Speidel und Lee setzen so Schuberts Werke in Szene, ohne sie zu überhöhen. Mit präzisem Tastenanschlag musizieren sie das beschwingte Rondeau brillant e-Moll (op. 84 Nr. 2 D 823).

Brillant gelingt ihnen ebenfalls die elegante Grande Sonate B-Dur (op. 30 D 617), die erste von zwei Sonaten, die Schubert für zwei Pianisten komponiert hatte. Schön bringen sie die poetischen Elemente zur Geltung, dynamisch gestalten sie die Melodie. Besonders der letzte Satz, das Allegretto, wird äußerst zart entfaltet. Das Divertissement sur des motifs originaux français (op. 63 Nr. 1 D 823) ist mehr als nur ein netter Zeitvertreib. Kaum jemand kennt das düster beginnende Werk, das den Zuhörer schon nach wenigen Sekunden in Bann gezogen hat und die Erwartungshaltung geschickt durchbricht, hin und her pendelnd zwischen Melancholie und surreal wirkenden harmonischen Labyrinthen. Kein Wunder, dass das Publikum nach anderthalb Stunden die Zugabe verlangt.

Autor: Nico Roller