Konzertbesuch am Esstisch lässt doch einiges vermissen
Mühlacker. Aufwändiges Haarstyling, Lippenstift auflegen und „Das kleine Schwarze“ aus dem Schrank holen – all das braucht es nicht, um in Corona-Zeiten ein klassisches Konzert zu besuchen. Ein vielfältiges Streaming-Angebot von renommierten Orchestern sorgt dafür, dass auch in Zeiten der Pandemie kultureller Hörgenuss nicht zu kurz kommen muss. Also her mit der Chipstüte und sich in Jogginghose und Schlabberpulli vor dem heimischen PC durch die diversen musikalischen Klassikangebote klicken? Das scheint angesichts hochkarätiger Formate, wie etwa der kostenlosen Streaming-Reihe der Berliner Philharmoniker, nicht wirklich angemessen zu sein. Und war da nicht auch die Pressemitteilung des Knittlingers Jörg Schweizer zu der Konzertreihe „Meisterwerke der Musik“ mit dem Oster-Streaming-Angebot des Leipziger Gewandhausorchesters?
Einen Versuch war es daher wert, einmal auszuprobieren, wie sich ein virtueller Konzertbesuch so anfühlt. Am Ostersonntag um zwölf Uhr saßen mein Mann und ich also vor dem heimischen Computer. Ein Gläschen Sekt, wie wir es sonst in der Pause einer kulturellen Veranstaltung gerne trinken, gehörte selbstverständlich zu unserer virtuellen Konzertausstattung.
Auf dem Programm stand eine Aufzeichnung der h-Moll-Messe von Johann Sebastian Bach des Gewandhausorchesters unter dem Dirigat von Herbert Blomstedt aus dem Jahr 2017. Gemeinsam mit dem Dresdner Kammerchor brachte das Orchester dieses geistliche Meisterwerk in der Leipziger Thomaskirche zu Gehör. Und ja – es war toll, das Orchester, anders als im Konzerthaus, ganz nah und aus unterschiedlichen Perspektiven zu sehen sowie Mimik und Gestik des Dirigenten und der Solisten bis ins Detail betrachten zu können. Schön auch, dass wir stets den perfekten Blick auf die virtuos aufspielenden Musiker und begnadeten Sänger hatten. Und trotzdem: Uns fehlte die besondere Atmosphäre eines Konzertbesuchs vor Ort, zu dem das Rascheln des Programms, das Hüsteln des Sitznachbarn und die spürbare Spannung vor den ersten Tönen sowie eine Akustik gehören, die nur vor Ort wirklich wahrnehmbar ist. Et resurrexit – Er ist auferstanden – lautet die zentrale Botschaft der h-Moll-Messe. Doch so dankbar wir für das kostenlose und hochkarätige Streaming-Angebot waren – unsere Herzen hätte diese Verkündigung wohl nur vor Ort in der Thomaskirche wirklich erreicht.
