Erinnerungen an eine Künstlerfamilie: Stimmungsvolle Matinee in der Neuhausener Theaterschachtel
Neuhausen. Von manchen Veranstaltungen nimmt man etwas mit: eine beschwingte Stimmung oder einen klugen Gedanken. In der Theaterschachtel Neuhausen dürfen die Besucher an diesem Sonntag sogar Originalgrafiken und -gemälde mit nach Hause nehmen. Sie stammen aus den umfangreichen Nachlässen von Clemens, Lorenz, Therese und Georg von der Vring, denen diese Matinee gewidmet ist. Vor allem von Georg von der Vring. Eigentlich war die Veranstaltung schon für den 1. März 2018 geplant, zu seinem 50. Todestag, sagt Anne von der Vring. „Aber wir haben es damals vor Arbeit einfach nicht geschafft.“
Kein Wunder: Das Werk des Malers und Schriftstellers ist riesig, eigentlich viel zu groß, um es eine rund 60-minütige Matinee zu pressen. Anne von der Vring erzählt die Biografien der Vier nach, zitiert aus Briefen, Erinnerungen und Gedichten – keine Musik, keine großen Gesten. Die sind auch nicht nötig.
Georg von der Vring kam 1889 in Brake bei Bremerhaven als Sohn eines Schiffers zur Welt. Er schafft den bürgerlichen Aufstieg zum Zeichenlehrer, gründet mit seiner großen Liebe, der expressionistischen Malerin Therese Oberlindober eine Familie, verliert sie an die Tuberkulose, heiratet noch zweimal, zieht von Jever in die Schweiz, nach Wien, Stuttgart, Schorndorf und zu guter Letzt nach München. Neben dem nie verwundenen Tod Thereses prägt ihn vor allem der Erste Weltkrieg. Der Schöngeist muss 1915 einrücken, wird an der Front mehrfach verwundet und gerät später in Kriegsgefangenschaft. Er tritt für Völkerverständigung ein, lehnt Gewalt ab. Eine Haltung, die er auch an seine Söhne weitergibt. Die beiden älteren, Peter und Lorenz, müssen im Zweiten Weltkrieg die Erfahrungen ihres Vaters wiederholen. Der verarbeitet seine zu einem Antikriegsroman: „Soldat Suhren“ erscheint 1927 und ist ein Bestseller. Fortan konzentriert sich Georg von der Vring auf die Prosa, veröffentlicht auch im „Dritten Reich“ zahlreiche Bücher, Romane, aber auch sogenannte Kriegserlebnisliteratur.
„Nein, ein Widerstandskämpfer war Georg von der Vring nicht“, sagt Anne von der Vring. Seiner humanistischen Weltanschauung sei er jedoch treu geblieben. Als der Zweite Weltkrieg ausbricht, wird auch Georg von der Vring als Offizier mobilisiert. Er dient in der Literaturbetreuung. Als er 1944 ausgemustert wird, ist die Ehe mit Marianne Kayer längst am Ende. Im Sorgerechtsstreit um ihre Söhne Clemens und Thomas hatte sie ihn 1943 beim Regime denunziert. Da hatte sein zweitältester Sohn Lorenz gerade den Horror von Stalingrad überlebt. Dieser gerät später in Gefangenschaft. Im englischen Kriegsgefangenenlager Tumilat bei Kairo zeichnet er den Alltag. 1948 kehrt er zurück, studiert Kunst, wird ein erfolgreicher Grafikdesigner. Vater Georg lebt inzwischen längst an seinem Rückzugsort Schorndorf, malt wieder, korrespondiert mit Hermann Hesse, Emil Nolde und Karl Schmidt-Rottluff. 1946 heiratet er ein drittes Mal: Wilma Musper. Sie ziehen 1951 nach München. Im Nachkriegsdeutschland wird Georg von der Vring zunächst mit Ehrungen überhäuft.
Die jüngeren Söhne aus der Ehe mit Marianne Kayser studieren. Clemens wird später Maler, sein jüngerer Bruder Thomas Gründungsdirektor der Universität Bremen und Abgeordneter des Europaparlaments. Georg von der Vring gerät derweil in Vergessenheit. Er stirbt am 1. März 1968 unter ungeklärten Umständen. „Seine Bücher hatten alle einen starken Zeitbezug“, sagt Anne von der Vring. Seine Lyrik ist beständiger, auch aus seiner eigenen Sicht: „Ja, das kann ich sagen, gewiss kann ich das sagen: Dass ich trotz dieses Scheißlebens vielleicht 100 gute Gedichte geschrieben habe“, schreibt er. Offenbar ein Irrtum, denn seine Wirkung entfaltet er über das Geschriebene hinaus bis heute, nicht zuletzt mit der von Matthias und Anne von der Vring betriebenen Theaterschachtel.
Weitere Termine
Die Theaterschachtel in Neuhausen feiert am Samstag, 18. April, mit einigen Überraschungsgästen fünfjähriges Bestehen. Schon am Samstag, 14. März, führen Andrea Weiss und Robert Kast als das Kabarett-Duo Stilsicher durch die Untiefen der 1980er-Jahre-Musik. Weitere Infos im Internet: www.theaterschachtel.de.