Neulingen
Neulingen -  04.09.2020
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Abgesang auf Popkultur und Globalisierung: Thomas Olze und Stefan Pflüger eröffnen Schau in der Künstlergilde Buslat

Neulingen. Das könnte eine echte Herausforderung für routinierte Besucher der Künstlergilde Buslat werden: Die Ausstellung „Nexus“ von Thomas Olze und Stefan Pflüger erscheint weniger zugänglich als ein Großteil des zuvor dort Gezeigten. Mit Fotografie, Malerei und Installationen machen sie komplexe Zusammenhänge gesellschaftspolitisch dringender Sachverhalte sichtbar. Der Betrachter kann zwischen den eher isoliert entstandenen Arbeiten imaginäre Beziehungsfäden quer durch den Raum spinnen und Verknüpfungen zwischen den unterschiedlichen Positionen herstellen. Es lebe das Doppelbödige, das Mehrdeutige.

Immer wieder gibt es popkulturelle Bezüge, als Analogien zu realen Themen. Den im Raum stehenden Flügel – ein Symbol für gutbürgerliche Lebensideale, das auch auf die (ausbeuterische) Kolonialzeit zurückgeht – hat sich Olze für eine vieldeutige Installation zu eigen gemacht. Ein vermeintlicher Held wie die Comicfigur Batman dient als Projektionsfläche moderner rechtsstaatlicher Problematiken. Iron Man und Captain America stehen für die Hybris des technisch Machbaren. Gleich daneben: eine darniederliegende, planetenhaft wirkende Discokugel – der Hedonismus ist dem Untergang geweiht. In Zeiten der Pandemie mehr denn je. Unter all dem hält Olze dem Betrachter, wie auch an einigen anderen Stellen der Schau, buchstäblich den Spiegel vor mit dem ironischen Credo:

„Seid allezeit fröhlich!“

Auf dem Flügel ist auch ein Panzer positioniert: Olze hinterfragt, was unseren heutigen Lebensstil ermöglicht – etwa der Export von Gewalt? Darauf verweist auch Pflügers über der Installation thronendes Plastikgewehr, offensichtlich aus der Finanz- und Konsumwelt Chinas stammend, wie eine Handtasche an einer Goldkette hängend.

Die Werke von Thomas Olze und Stefan Pflüger stehen zwar jeweils für sich, weisen aber spannende thematische Bezüge zueinander auf, sagt Ana Kugli, die bei der morgigen Eröffnung in die Schau einführt. „Die Kritik an unserer Konsumwelt und der Abgestumpftheit, mit der wir die verursachten Schäden hinnehmen, zieht sich wie ein roter Faden durch die Exponate.“

Mächtige, urbane Betonlandschaften vor goldfarbenem Hintergrund: Für die Serie „Post Utopia“ ließ sich Olze von den klaren Formen des auch in Pforzheim präsenten Brutalismus inspirieren. Der in Tiefenbronn-Mühlhausen arbeitende Künstler stellt Bezüge zu Utopien und Dystopien her, vor allem zu „Utopia“ von Thomas Morus und „1984“ von George Orwell. In einer aufwendigen, wandfüllenden Hängung voller Collagen und detailreichen Zeichnungen reflektiert er abermals die Zusammenhänge unserer Zeit – etwa die Ursachen von Migration, Flucht und Krieg.

Schriftzug aus Sand

Pflüger greift diese Themen in seiner „Hauptarbeit“ der Ausstellung auf, entstanden während der abgeschiedenen Corona-Zeit im Neuenbürger Atelier: eine Schrift aus dem global immer knapper werdenden Rohstoff Sand, auf den Boden geschüttet – fragil und vergänglich. Mit den Buchstaben bildet er einen Slogan der „Situationistischen Internationalen“: „sous les pavés, la plage“ (unter dem Pflaster, der Strand). Die SI war in den 1960er-Jahren eine kommunistische Organisation, die sich Gedanken um Kunst, Gesellschaft und Urbanität gemacht hat. Dem Slogan setzt Pflüger die umgedrehte Version „sous la plage, les pavés“ entgegen. „Der Sehnsuchtsort Strand wird heute immer mehr zum alltäglichen Alptraumort“, sagt er. Statt Aphrodite in der Muschel, werden ertrunkene Flüchtlinge herangespült, das Dilemma der Pandemie erfährt seine Zuspitzung an unvernünftig überfüllten Party-Stränden.

Gesellschaftliche, politische Entwicklungen, Kunstgeschichte, persönliche Bedürfnisse und Ängste – dieser Synthese-Gedanke führt bei Stefan Pflüger zu einer reduktionistischen Form. Das unterstreichen seine ausgestellten Arbeiten, etwa die auf ihre Grundelemente abstrahierte Readymade-Objektversion von Edvard Munchs „Der Schrei“. Auch seine Lichtinstallation basiert auf Fundstücken, auf milchigen Glasscheiben von Werbevitrinen am alten Pforzheimer Busbahnhof. Beim Blick von oben erschließen sich durch bisweilen kitschige Motive wie rote Herzchen neue, fast unendlich erscheinende Räume.

Zudem zeigt Pflüger eine grafische, mit symbolträchtigen Farben unterlegte Videoanimation des Mottos „Man muss nicht fürchten, man muss gelten!“. Es stammt aus einer wohl programmübersetzten Werbe-E-Mail für Sexpillen, die er vor einiger Zeit im Spam-Ordner hatte. „Wir leben ja inzwischen in einer Geltungsgesellschaft. Den Spruch hat eigentlich jeder imaginär auf seinem Pappkarton stehen, der an diesen Anti-Corona-Demos teilnimmt“, sagt Pflüger. Meere bedroht durch Plastikmüll: Ein anderes Objekt präsentiert die Erde im Ungleichgewicht, die Veränderung des Planeten durch eine kapitalistisch geprägte Konsumkultur.

Was Olze und Pflüger anstreben, ist keine Unterhaltungskunst, kein Spektakel, obwohl die Ausstellung inhaltlich wie ästhetisch funktioniert. Wenn es ein Fazit gibt, dann jenes, dass in einer komplexer werdenden Welt einfache Aussagen und Antworten unmöglich sind. Diese zu geben – darauf verzichten die Künstler. Sie stellen Fragen: Welche Auswirkungen hat das eigene Handeln und Verhalten? Was bedeutet Konsum, welche Konnotation hat ein Begriff wie Heimat? Eine Herausforderung für den Betrachter, sich in diesem vielschichtigen Kunst-Kosmos selbst zu verorten.

Die Öffnungszeiten

Die Ausstellung „Nexus“ wird am Sonntag eröffnet. Für den Termin um 15 Uhr sind noch Plätze frei. Eine Anmeldung an drnjuedt@gmail.com muss die Namen der Besucher sowie eine Telefonnummer enthalten. Die Schau im Katharinentaler Hof zwischen Pforzheim und Göbrichen ist bis 27. September jeden Sonntag von 11 bis 17 Uhr geöffnet Infos, auch zu den Pandemie-Beschränkungen auf www.kuenstlergilde-buslat.de.

Autor: mich