Neulingen
Neulingen -  02.11.2018
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Katastrophale Epidemie: Vor 100 Jahren wütete die Spanische Grippe in Nußbaum

Neulingen-Nußbaum. Es war eine verheerende Epidemie, die vor 100 Jahren auch die Region nicht verschonte. 1918 und 1919 forderte die sogenannte Spanische Grippe nach jüngeren Einschätzungen weltweit bis zu 50 Millionen Tote – und damit viel mehr als der damals endende fürchterliche Erste Weltkrieg. Wobei der Krieg eine wichtige Rolle spielte. Der Krieg hatte viele Menschen ausgezehrt, wodurch sie hilflos der Seuche ausgeliefert waren. Bestatter und Schreiner hatten Hochkonjunktur. Im Oktober 1918 traf die Spanische Grippe auch Nußbaum.

Sie griff schnell auf das ganze Dorf über und fesselte teilweise ganze Familien ans Bett. Und schlimmer: Allein in der Woche um Allerheiligen gab es fünf Menschenleben zu beklagen. Am 1. November starb beispielsweise das Ehepaar Karl Dietrich (53) und Karolina geborene Rau (46), die acht Kinder im Alter von fünf Tagen bis 21 Jahren hinterließen.

Karl Dietrich, 1897 bis 1918 Unteroffizier und Ratsschreiber, hatte, obwohl er schon 53 Jahre alt war, bis zuletzt noch die Absicht sich freiwillig zum Kriegseinsatz zu melden. Doch der Tod ereilte ihn in der Heimat. Emilie Quiz, eine der fünf Töchter, die im Jahr 2000 mit 98 Jahren starb, erinnerte sich noch im hohen Alter daran, wie ihr schon todkranker Vater mit drei seiner Töchter und zwei Zweispännern– jeder Wagen vollgeladen mit Zichorie – nach Bretten fuhr, um durch Verkauf an die Zichorie-Fabrik Geld für die Familie zu erlösen. Er konnte seine Töchter doch nicht im Stich lassen. Als sie nach Hause kamen, war er so schwach, dass er sich nicht mehr auf den Beinen halten konnte. Zehn Tage später verstarb er morgens, seine Ehefrau folgte ihm noch am selben Abend im Krankenhaus in Bretten. Karolina Dietrich war noch von der Geburt des jüngsten Sohns Emil geschwächt, der selbst nur einen Monat lang überlebte.

Die älteste Tochter Anna, die im Emmendingen zur Ausbildung als Heilerzieherin war, musste abbrechen, um zu Hause zusammen mit ihrer 19-jährigen Schwester Hilda die Geschwister zu versorgen. Eine wichtige Rolle nahm auch ihre damals 71-jährige Oma Amalie Rau geborene Lansche ein, an der die Kinder von nun an noch mehr hingen. „Du bist jetzt unsere Mutter, bitte bleib bei uns“, sagten sie immer zu ihr.

Die heute im Altenpflegeheim „Schauinsland“ in Eisingen lebende Enkelin Irmgard Vogel (87) betont: „Dies war etwas Schreckliches, so etwas gab es zuvor und danach in Nußbaum nicht, dass ein Ehepaar am selben Tag starb.“

Schwer getroffen hatte es den zwölfjährigen Oskar, der sehr an seiner Mutter hing. Der frühe Tod seiner Eltern, deren Landwirtschaft er später mit seiner Frau Lina geborene Wächter übernahm, hat sein Leben geprägt. Zum Glück für ihn war nach der Tragödie der Nachbar und Dorfschmied Jakob Fretz (1888 bis 1966) zu einer wichtigen Bezugsperson geworden. Oskar Dietrich starb am 13. Mai 1977 einundsiebzigjährig an den Folgen eines Herzinfarkts. Der 1918 zehnjährige Erwin starb am 24. September 1932 mit 24 Jahren an Tuberkulose.

Autor: Peter Dietrich