Gemeinderat lehnt alle Preismodelle ab: Streit um die Nahwärme in Niefern-Öschelbronn spitzt sich zu
Niefern-Öschelbronn. Die Auseinandersetzung übers Nahwärmenetz in Niefern zwischen Anwohnern und Gemeinderäten auf der einen und der Rathausverwaltung auf der anderen Seite ist in der jüngsten Ratssitzung voll aus dem Ruder gelaufen. Bürgermeisterin Birgit Mertens und Claudia Ullmann als kaufmännische Leiterin der Gemeindewerke räumten zwar ein, in den Konflikten mit Bürgern und Gemeinderäten rund um Anschluss- und Verbrauchspreise sei „nicht alles reibungslos verlaufen“.

Doch im Ratsgremium fielen dann alle sechs Vorschläge der Verwaltung durch, ein beispielloser Vorgang in der Kommunalpolitik. Denn Mertens hatte angekündigt, sie würde Mehrheitsbeschlüssen für gesenkte Preise sofort widersprechen und die Kommunalaufsicht einschalten. Als die Ratsrunde folglich alles ablehnte, rief Mertens erbost aus: „Dann werde ich ab morgen den Kunden, die schon einen Vertrag mit uns haben, keine Wärme liefern.“ Spätnachts nahm sie diese Reaktion in einer Mitteilung an die PZ jedoch zurück (siehe Zusatzartikel). „Hausbesitzer werden also nicht frieren“, so Mertens. Das Tischtuch zwischen ihr und dem Gemeinderat ist zerschnitten – vorerst jedenfalls.
„Kein guter Austausch“
Der Reihe nach: Die Fraktionsvorsitzenden Erik Schweickert (FW/FDP), Alexander Kirbis (CDU) und Jürgen Gremmelmaier (FWV) beklagten „den schlechten Informationsfluss der Verwaltung mit den Kunden“. „Man hat die Bürger im Regen stehenlassen“, sagte Kirbis. „Das war kein guter Austausch mit den Anwohnern“, so Schweickert. Gremmelmaier: „Eine schlechte Kommunikation.“ Über gleich mehrere offene Fragen und Einwände von Hausbesitzern hat die PZ berichtet. Die Rathauschefin verteidigte die Berechnungen der Werke: „Das Netz muss sich selbst tragen, aber nach dem Baubeginn sind die Gaspreise stark angestiegen.“ Sie schlug eine Informationsveranstaltung mit Nieferner Bürgern vor. „Wir wissen um viele Rückfragen, das Wärmenetz ist auch für uns Neuland“, sagte Ullmann.
Kundige Bürger angehört
Angesichts zahlreicher Zuhörer im Ameliussaal beantragte Schweickert schon zu Beginn der Sitzung, in die Diskussion bis zu fünf Wortmeldungen von Anwohnern einzuführen: „Das sind sachkundige Bürger, die wir laut Gemeindeordnung anhören können.“ Als Stefan Ermentraut, Geschäftsführer der TSG Niefern und möglicher Kunde des Wärmenetzes, ans Mikrofon trat, ging’s ordentlich zur Sache, sprach er doch auch weitere Kritik zahlreicher Besucher an. „Nahwärme ist eine gute Idee, wir haben alle mit einem moderaten Anstieg der Preise gerechnet, sind nun aber enttäuscht, wenn es rund doppelt so viel kostet“, sagte Ermentraut – „das Vertrauen in die Gemeindeverwaltung ist weg, zumal wir uns ja lebenslang an diese Energie binden.“ Die Verträge der Werke ließen „keine weiteren Energiequellen zu“, zum Beispiel Solarzellen oder Kamine, dabei hätten die Hausbesitzer schon viel gemacht, um Wärme oder Energie zu sparen. Die Anwohner seien schwer enttäuscht, jetzt sei das Kind in den Brunnen gefallen, wetterte Ermentraut und erhielt dafür viel Beifall von Zuhörern. Ein Anwohner aus der Schloßstraße nannte Zahlen: „Bisher gebe ich jährlich rund 3000 Euro aus, doch für die Nahwärme müsste ich 6000 Euro bezahlen, das ist zu viel, das mache ich nicht.“
Liegt nun alles in Scherben? „Die Verwaltung hat vier Millionen Euro verbuddelt, ohne den Gemeinderat einzubinden“, kritisierte Schweickert. „Wir mussten im Dezember 2023 ein Preisblatt vorlegen, um Fördergelder zu bekommen“, begründete Mertens den Schnellschuss des Rathauses. „Da sind Fehler passiert“, sagte Jochen Schneider für die LMU. „Wir müssen den Grundpreis senken“, forderten FWV-Sprecher Gremmelmaier und Kirbis für die CDU. Schweickert regte eine Preisbremse an. „Der Unmut der Bürger ist verständlich“, sagte Nicole Saam (fraktionslos). „Wir müssen werben, Leute gewinnen, die noch abwarten“, so Jürgen Aydt (SPD).
Doch die Bürgermeisterin beharrte auf ihrem „letzten Angebot“. Beschließe der Gemeinderat niedrigere Preise, rutschten die Gemeindewerke ins Minus. Das mache sie nicht mit. Doch mit ihrer Stimme blieb sie bei drei Fassungen mit hohen Preisen allein auf weiter Flur. Die anderen drei Lösungen mit gesenkten Werten lehnte das Ratsgremium jedes Mal mehrheitlich ab. Das Ende der zugespitzten Debatte: Nun gibt es überhaupt kein Preisblatt. Als Kirbis von „Verhandlungen wie auf einem türkischen Basar“ sprach, entzog ihm Mertens das Wort: „Das lasse ich nicht auf meinen Mitarbeitern sitzen.“ Wie geht der Streitfall weiter? Noch unklar.
Nachts rudert Bürgermeisterin Mertens zurück
Viele Anwohner des Nahwärmenetzes mochten im Ameliussaal nicht fassen, was sie in der mehr als zweistündigen Debatte des Gemeinderats erlebten. „Unglaublich“, „unerhört“, nahmen Zuhörer die Ankündigung von Rathauschefin Birgit Mertens auf, ab sofort keine Wärme zu liefern, nachdem die Ratsrunde sämtliche Preismodelle der Gemeindewerke durchfallen ließ.
Doch spätabends ruderte Mertens zurück – der Stellvertretende Bürgermeister Erik Schweickert (FW/FDP) hatte ihr zugeredet, einzulenken. „Wir liefern Wärme an Kunden, die bereits Verträge mit dem Preisblatt vom Dezember 2023 akzeptiert haben“, schrieb sie nachts der PZ. Mit Schweickert sei sie überzeugt, dass „die Verträge rechtssicher sind und wir auf dieser Basis liefern können, es muss niemand frieren“.
Doch wie löst sich der Konflikt? Sie werde „mit der Kommunalaufsicht des Enzkreises Rücksprache halten“ und dem Gemeinderat dann einen Vorschlag unterbreiten, wie es weitergehe. Sollte das Ratsgremium „günstigere Konditionen ausweisen, dürfen diese Kunden selbstverständlich wechseln“, teilte Mertens mit. Bürgermeisterin kontra Gemeinderat: Ein Bruch, wie es ihn in Niefern-Öschelbronn noch nicht gegeben hat.