Remchingen
Remchingen -  05.12.2019
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„Hildegard von Bingen“ als gelungenes Schauspiel mit Videoprojektionen in Kulturhalle Remchingen

Remchingen. Schwirrend weiße Lichtlinien ziehen sich über die schwarze Bühnenwand, flimmern und formen sich zu einem Baum, bis Äste aus Wörtern herauswachsen. Die effektvolle Lichtprojektion wird begleitet von einer klaren Frauenstimme, die ein mittelalterliches Lied Hildegard von Bingens anstimmt. Ein ruhiger Gesang, einst zu liturgischen Zwecken aufgeschrieben. Heute ist er lebendiges Zeichen für die musikalische Freude jener Hildegard. Dieser Frau, die vor knapp 1000 Jahren als Äbtissin, Mystikerin, Dichterin und Komponistin im Kloster Rupertsberg bei Bingen am Rhein lebte, ist das zweistündige Theaterstück „Hildegard von Bingen – Die Visionärin“ gewidmet, für das es am Dienstag in der ausverkauften Kulturhalle Remchingen langen und begeisterten Applaus gab.

Die in München ansässige Theaterlust Produktions-GmbH und Autorin Susanne Felicitas Wolf haben über die faszinierende Frauenfigur ein Schauspiel gestaltet, das sich episodenhaft in zügigen Dialogen und Szenen an der Biografie der Hildegard entlanghangelt. Nonstop auf der Bühne präsent ist dabei Schauspielerin Anja Klawun als Hildegard. „Von meiner Kindheit an schaue ich“, spricht sie bedächtig, sachlich die alles entscheidende Tatsache. Hildegard von Bingen hatte Visionen. Sie „sah“ und „hörte“ unter anderem göttliche Äußerungen, weshalb sie sich selbst als „Instrument Gottes“ empfand. Das mit jenen Visionen ist uns heute medizinisch-neurologisch durchaus erklärbar. Damals allerdings war es das nicht. Der Verdacht anderer, dass Hildegard böse sein und mit dem Teufel im Bunde stehen könnte, begleitete Hildegard von Bingen von klein auf ihr Leben lang. 1098 wird sie als zehntes Kind in eine begüterte Adelsfamilie geboren, kommt ins Benediktinerkloster Disibodenberg, genießt eine umfassende Ausbildung. Sie legt das Gelübde ab und wird zur Priorin gewählt. Zunächst will sie ihre visionären Fähigkeiten geheimhalten, macht dann aber damit – nachdem bis zum Papst die gutwillige Glaubwürdigkeit der Hildegard geprüft wurde – eine erstaunliche Karriere. Hildegard predigt, unternimmt Seelsorgereisen, verfasst Schriften, wird Beraterin von König Barbarossa. Sieben weitere Schauspielerinnen und Schauspieler treten auf und führen unter der Regie von Thomas Luft in Dialogen nicht zuletzt die spannende Historie des Mittelalters vor Augen.

Im Stück wird klar: Hildegard war eine Gute. In den Texten überzeugen ihre Zitate immer wieder – erstaunlich aktuell und heute gültig – als richtiger Weg. Hildegard, die von der Vision der Natur als Kraft Gottes erfüllt war, begründete die Kräuterheilkunde ebenso wie die Mystik um heilende Steine. Diesen Zauber bringt das Stück klasse rüber. Als Bühnenbild dienen lediglich acht mit weißem Gazestoff bespannte drehbare Schiebewände, auf die projiziert wird. Dazu meistert Cornelia Melián sphärische Klänge mit der Shrutibox (dem Harmonium der indischen Musik), bringt ein Weinglas zum Klingen, spielt Blockflöte und singt. Die außergewöhnliche Theaterästhetik kommt beim Publikum bestens an.

Autor: Sven Scherz-Schade