Remchingen
Remchingen -  29.05.2022
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Nöttinger Metzgerei blickt mit Kunden in Ställe und aufs Feld

Remchingen. Von einer „Metzgerfahrt“ spricht man umgangssprachlich, wenn sie sich nicht gelohnt hat und man sie lieber hätte bleiben lassen – nicht so bei der Fahrt, die der Nöttinger Metzgermeister Andreas Beier am Samstagnachmittag mit fast 50 Interessierten unternahm. Im Rahmen der Gläsernen Produktion des Enzkreises lud er sie ein, hinter die Kulissen zu schauen und den Weg von Fleisch, Wurst und Co. zu verfolgen – und zwar ganz von vorne.

So öffnete er dieses Mal nicht wie gewohnt die Türen seines eigenen Schlachthauses oder der Wurstküche, sondern steuerte mit dem Reisebus einige Landwirtsbetriebe in der Region an, von denen er seine Rinder, Schweine, aber auch Kartoffeln und Gemüse bezieht. Für die eigene Metzgerei schlachtet sein Team wöchentlich zehn Schweine, ein Rind und alle zwei Wochen ein Kalb.

Die Herkunft kennen

„Die Kunden sollen genau wissen, wo das herkommt, was sie in den Mund stecken und was es für uns bedeutet, Regionalität zu erhalten“, erklärten Beier und seine Tochter Nicole Bischoff die Motivation für die Tour, bei der auch viel Zeit für den Austausch und Fragen blieb. Auf der grünen Weide in der Königsbacher Trais begrüßte Julia Gebhard. Dort hält die Agrarwissenschaftlerin mit ihrem Mann Alexander acht Mutterkühe samt Bullen, deren regelmäßige Nachzucht sie bis zum Alter von etwa zwei Jahren mit Silage und Kraftfutter aus eigenem Anbau für die Metzgerei, aber auch zur eigenen Direktvermarktung großzieht: „Alle unsere Tiere haben noch einen Namen“, verdeutlichte Gebhard. Obwohl sie auch Schweine halten und Getreide, Mais, Kartoffeln und Zwiebeln anbauen, reicht die Landwirtschaft alleine nicht zum Leben, sodass beide weiter ihrem Hauptberuf nachgehen.

Den Wandel der Landwirtschaft konnten die Besucher auf dem Kämpfelbacher Bauernhof Heckmann erleben: „Viele haben noch heute das idyllische Bild vom Bäuerle mit dem Einschar-Pflügle im Kopf“, erinnerte Jasmin Heckmann an die Zeit vor einigen Jahrzehnten, in denen es noch zehn Betriebe in Ersingen gab. Heute gibt es einen großen, bei dem ihre ganze Familie meist hauptberuflich mit anpackt: Rund 280 Färsen – weibliche Rinder, die noch nicht gekalbt haben – tummeln sich in Laufställen mit Stroheinstreu und offenen Seitenwänden. Auch sie werden überwiegend in regionalen Metzgereien und direkt am Hof vermarktet. Hinzu kommen Freilandhühner im fahrbaren Stall und eine Biogasanlage, mit der sich der Kreislauf schließt: Zu fast drei Vierteln produziert die Anlage Strom aus Stallmist.

Ein großer Kreislauf

Während das Gärsubstrat zurück auf die Felder kommt, heizt die Abwärme der Anlage ein ganzes Wohngebiet. Die Landwirtin freut sich über das Umdenken in der Gesellschaft hin zu mehr Regionalität und Tierwohl: „Wir leben von den Verbrauchern. Aber wenn jemand einen Grill für 1000 Euro kauft und dann ein Ein-Euro-Steak drauflegt, läuft was falsch.“

„Wir müssen das Bewusstsein nach draußen weitergeben“, ermutigte Beier beim anschließenden Besuch auf den Wilferdinger Kartoffeläckern von Nebenerwerbslandwirt Hans Zachmann. Wie viele Kollegen verzichtet er auf chemische Pflanzenschutzmittel und setzt trotz Mehraufwands stattdessen aufs Hacken. Auch in der Metzgerei spiele Nachhaltigkeit eine wichtige Rolle, verdeutlichte Beier bei der anschließenden Wurst- und Schinkenverkostung im Wilferdinger „Kuheck“: So sei es ihm stets ein Anliegen, eben nicht nur die besten Stücke, sondern das ganze Tier zu verwerten – bis hin zu den Knochen, aus denen er kräftige Soßen kocht.

Autor: Julian Zachmann