Bad Wildbad
Bad Wildbad -  17.07.2022
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Selten gespielte Oper „Ermione“ begeistert beim Festival Rossini in Wildbad

Bad Wildbad. Alles, was Musikfreunde von einer tragischen Oper an dramatischer Theatralik und an opulenten Affekten erwarten, erlebte das faszinierte Publikum bei „Rossini in Wildbad“. Und das ausgerechnet mit „Ermione“ von Gioachino Rossini, der eher für buffoneskes Musiktheater und musikalische Farcen bekannt ist.

Selbst Rolf Faths sechsbändiges „Lexikon der Opernwelt“ hat für die selten aufgeführte „Azione tragica“ in zwei Akten nur wenige Zeilen übrig – für die Uraufführungsdaten und eine magere Wiedergabe des antiken Stoffes, der das Sklavinnen-Schicksal von Hektors Witwe Andromaca und mörderische Liebeshändel der griechischen Fürsten nach ihrem Sieg über Troja behandelt.

Für den durchschlagenden Wildbader Erfolg ist freilich nicht der Plot, das nach Jean Racines berühmter Tragödie „Andromaque“ gestaltete Libretto von Andrea Leone Tottola verantwortlich, das wegen seiner Überzeichnungen und kaum vorbereiteten Wendungen durchaus Schwächen aufweist. Sondern die musikdramaturgische Umsetzung durch den kunstsinnigen italienischen Komponisten. In Wildbad sind – ein Glücksfall – exzellente Interpreten und mit Regisseur Jochen Schönleber und seinem Regie-Team Feinmechaniker des Rossini-Theaters am Werk, die tiefes Unglück in musikantische Höhen zu transponieren vermögen.

Auf der modern-minimalistisch mit weißen Quaderwürfeln, einem zwischen grauen Wandsäulen rot aufleuchtenden Tor und schrägem Laufsteg ausgestatteten Bühne, die an archaische Architektur erinnern soll, sind anfangs filmisch projizierte Bilder von schemenhaften Schattenfiguren und das trojanische (oder ukrainische?) Kriegszerstörungswerk zu sehen. In der einleitenden „Sinfonia mit Chor“ ertönt hinter diesen Kulissen, begleitet vom auftrumpfenden Orchester, litaneihaft die Klage der gefangenen Trojaner (in italienischer Sprache mit deutschen Obertiteln):

„Troja, was bleibt von dir? Ach, wie ein Blitz verschwand dein einstiger Glanz!“

Umgeben von Griechen und Trojanern huscht Andromaca im Sklavenhemd auf die Bühne und setzt die Klage fort:

„Hektor, ich habe dich verloren!“ Und beschwichtigt ihren kleinen Sohn Astianatte, der von einer Rotkreuz-Betreuerin geführt wird: „Meine Wonne, du allein bist es, der mich noch am Leben hält.“

Aurora Faggioli gestaltet diese Partie mit wirkungsmächtigem Mezzosopran, der in höhlen-dunkler Farbe erklingt, und in höheren Lagen sehr zärtlich sein kann. Später wird ihr ein weißes Brautkleid angezogen, weil sich König Pirro von Epirus in seine Sklavin verliebt hat und sie zu seiner Königin machen will. Pirro, von Moisés Marín mit schneidigem, in den koloraturigen Spitzen etwas gepresstem Tenor erscheint wie ein zaristischer Großfürst gestiefelt in weißer Uniform-Gala.

Intensive Leidenschaft

Die anderen Griechen verurteilen allerdings sein Verhalten, wollen den Tod von Andromaca und ihrem Söhnchen, dem letzten Spross der trojanischen Herrscher-Familie. Und da ist vor allem Helenas Tochter Ermione, die Pirro eigentlich als Gattin versprochen ist, und die zur eifersüchtigen Feindin der Hektor-Witwe und in ihrer Hassliebe die Anstifterin des Mordkomplotts gegen Pirro wird. Als Ermione spielt und singt Serena Farnocchia mit intensiver Leidenschaft. Auch dank ihrer Darstellungskunst, ihrer Fähigkeit, Gefühlsschwankungen zwischen triumphierender Liebe und fassungsloser Enttäuschung, abgründigem Rachedurst und Schuldbewusstsein zu entfalten und mit weißgoldenem Koloratur-Sopran die virtuosen Melodie-Ketten immer wieder zu zerreißen, wird der Opernabend mit atemberaubender Spannung aufgeladen. Und da ist noch einer, der in abgerissenem schwarzem Uniform-Outfit die Spannungsbögen bedient.

Patrick Kabongo ist als Oreste, der in Ermine verliebte, aber immer wieder abgewiesene und von ihr als Mordwerkzeug gegen Pirro benutzte charakterschwache Täter, eine Idealbesetzung. Seine mit zarter Lyrik vorgetragene Kavatine im ersten Akt verführt beim Zuhören mit tenoralem Trauer-Glanz. Auch die Nebenrollen (Chuan Wang als Pilade, Jusung Gabriel Park als Fenico, Mariana Poltorak als Cleone, Katarzyna Guran als Cefisa und Bartosz Jankowski als Attalo) sind ausgezeichnet besetzt.

Fogliani in Höchstform

Das größte Lob bleibt freilich der musikalischen Leitung, Maestro Antonino Fogliani, vorbehalten. Seine Werkkenntnis ist unerhört, jedes musikalische Detail wird in seinem Dirigat sichtbar. Wie er die Solisten führt und das junge Philharmonische Orchester Krakau mit seinen hervorragenden, auch solistischen Bläsern sowie den klanglich wunderbar schwebenden Philharmonischen Chor Krakau in immer neuen Anläufen in die sich schier endlos steigernden Rossini-Crescendi hineintreibt, ist einfach herrlich.

Im Finale liegen Heldinnen und Helden blutig erstochen etwas übertrieben plakativ auf dem Laufsteg als Kadaver herum. Und noch ein kleiner Wermutstropfen darf in den edlen Wein gegossen werden – Rossini erlaubt den Gourmet-Vergleich. Vor allem in den zahlreichen Fortissimi-Passagen ist der Klang oft lärmend knallig. Aber das ist dem Spielort, der Akustik der Wildbader Trinkhalle geschuldet, die eben kein Opernhaus ist.

Weitere Aufführung am 23. Juli.

Autor: Eckehard Uhlig