Späße mit Rossini: Alessandro Marangoni musiziert im Wildbader Kurtheater
Bad Wildbad. Gioachino Rossini, als Opernkomponist bekanntlich ein Erzkomödiant, war auch im Privatleben stets zu Scherzen aufgelegt. Die verwandelte er in seiner letzten Lebensphase, die er auf seinem Landsitz in Passy bei Paris als Koch-Künstler und Rezepte-Erfinder verbrachte, in oft lustige Klavier-Etüden. Deren Witz konnte eigenwillig komisch und makaber sein. Sinnfällig nannte er diese Gelegenheits-Kompositionen, die nicht veröffentlicht werden sollten, „Péchés de vieillesse“ (Alterssünden).
Glücklicherweise sind diese musikalischen Späße dennoch auf die Nachwelt überkommen. Glücklicherweise hat sie der exzellente italienische Pianist Alessandro Marangoni gesammelt und auf 13 CDs eingespielt. Und glücklicherweise konnte Marangoni für das Festival „Rossini in Wildbad“ gewonnen werden, wo er nun im Königlichen Kurtheater mit seinem Programm „Rossini piano pianissimo“ Kostproben aus der umfangreichen Sammlung präsentierte.
Beispielsweise eine humoristisch tonmalerische Klavier-Köstlichkeit der besonderen Art. Rossini hatte sich vom Gourmet (Feinschmecker) zum Gourmand (Schlemmer) entwickelt, was auf Porträts an seiner zunehmenden Leibesfülle abzulesen ist. Da gab es natürlich Darmprobleme, die im „Petit valse: L’huile de ricin“ (Kleiner Walzer Rizinus-Öl) des Belcanto-Meisters ausgelebt werden. In aller Deutlichkeit hörbar ist die Verstopfung, die sich anfänglich in polternd-rumorenden , druckvoll gesetzten Akkorden äußert. Und später in rasant perlenden Läufen – nach der Einnahme des Öls – den flüssigen Erfolg der Behandlung aufzeigt. Marangoni stellte die klanglichen Entwicklungen nicht nur pianistisch meisterlich dar, sondern untermalte das Darm-Getöse und die Erleichterung mit lustigen Gesten am Flügel. Übrigens: 1856, als Kurgast Rossini in Bad Wildbad weilte, waren noch Trinkkuren üblich, die damals gegen Verdauungsprobleme verordnet wurden. Und es gab auch noch die „Lauberhütten“ für Erholungsaufenthalte. Der Rizinus-Walzer stammt aus Rossinis „Album de chaumière“ (Album aus der Stroh-Hütte) – also eine Reminiszenz an das Wildbad?
Freilich prägten Marangonis Programm eher die appetitlichen, liebenswerten Klaviereinfälle. Auf der in wechselnde Lichtfarben getauchten Kurtheaterbühne leitete mit „Prélude inoffensiv“ (aus dem genannten Album) ein romantisch verträumtes Vorspiel den Wildbader Rossini-Nachmittag ein. Das Stück „À ma petite perruche“ ahmte Rossinis sprechenden Papagei mit nicht immer ganz jugendfreien Einwürfen nach, die der Klavierspieler wie ein Bauchredner in die Musik brabbelte. Dissonant schräge Akzente lockerten die tänzerisch quirlige „Petite polka chinoise“ auf. Und die „Caresse à ma femme“ (Liebkosung für meine Frau) umrahmte einen musikantisch ausformulierten heftige Ehestreit mit lyrisch weichen Streicheleinheiten.
Den Programm-Abschluss bildete mit dem Klavierstück „Un petit train de plaisir comico-imitatif“ (Ein kleiner Vergnügungszug, komisch imitiert) eine typische Rossini-Volte: Erst hörte man den vergnüglich ratternden, dann den teuflisch pfeifenden Zug, der am Ende schrecklich entgleist und Verletzte produziert. Dem ersten Verletzten widmete Rossini eine klanglich himmlische „Melodie im Paradies“, dem zweiten einen „Klagegesang in der Hölle“. Alessando Marangoni bewältige alle diese Scherze mit virtuoser Bravour. Das war zur Freude des Publikums unterhaltsam, kurzweilig und überaus amüsant.
Mit erneuten Aufführungen von „Adina“ und „Ermione“ sowie dem Waldkonzert am Grillplatz auf dem Sommerberg endete am Sonntag die „Rossini“-Saison 2022.
