Bad Wildbad
Bad Wildbad -  21.06.2019
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„Wildblütenzeit“ ist das jüngste Werk von Autorin Inge Barth-Grözinger

Was für eine Entscheidung, sich als Schriftstellerin zu versuchen. Weil man die Erinnerungen lebendig halten will, weil im Kopf ein Gedanke rumort, der unbedingt zur Materie werden will. Und wie so oft im Leben wurde der Mut mit Erfolg belohnt. Inge Barth-Grözinger war Lehrerin am Ellwanger Gymnasium, als sie mit ihrer Klasse vor Ort den Zeichen jüdischer Mitbürger und dem Versagen der Menschlichkeit im „Dritten Reich“ nachging. Sehr ambitioniert und sehr gründlich – aus dem Schulprojekt um die Familie Levi wurde schließlich ihr erstes Buch „Etwas bleibt“. Dann kam der „Beerensommer“, eine Familiensaga aus dem Schwarzwald. Die liegt jetzt in der 17. Auflage vor. Zählte man die Exemplare zeitlich zusammen, würde sie auf der Bestsellerliste nur so nach oben rauschen. Weitere Bücher wie „Stachelbeerjahre“ und „Geliebte Berthe“ folgten – jetzt liegt als neuestes Werk der geborenen Wildbaderin „Wildblütenzeit“ vor.

Die Themen dazu, wie zu allen ihren Büchern, hat sich Barth-Grözinger direkt aus dem heimatlichen Umfeld und zum Teil auch aus dem eigenen Erleben geholt. Man kann sich in diese Romane der Erinnerungen verlieben. Vielleicht, weil sie so prall und lebensvoll sind, vielleicht, weil sie so viele Assoziationen zulassen – obwohl, oder gerade weil sie so genau recherchiert und in die historische Realität eingepasst sind.

Das ist keine nostalgische Angelegenheit, keine ungefilterte Hommage an den Schwarzwald, diese Menschen schrauben sich ins Hirn. Da wird ein für die Zeit ganz normaler Lebensablauf, da wird die menschliche Selbstbehauptung zum Abenteuer. Ihre Bücher sind eine Aufforderung, sich einzulassen auf das, was einmal war und das, was man daraus lernen kann.

Was theoretisch klingt, setzt auf eine spannende Gefühlsebene, auf Tiefe ebenso wie auf Kurzweil und auf starke atmosphärische Dichte: Der Draht zu den Personen ist beim Lesen sofort da. Vermutlich hilft es dabei, dass die Autorin auf Dialoge setzt. Das habe man ihr vom Verlag mal empfohlen, um einen direkten Zugang zu schaffen, erklärt sie selbstironisch. Viele ihrer Personen haben eine unterschwellige Traurigkeit an sich, die von bitterer Armut oder dem Verzicht auf eigene Lebensvorstellungen geprägt ist. Aber sie bleiben moderat – auch eine Stärke, die von der Verwurzelung in der Familie und einer engen Heimatverbundenheit geprägt ist. Im engen, örtlich begrenzten Raum vollziehen sich Schicksale, entstehen heitere, glückliche Momente, aber auch Härte und Gewalt – stets geprägt vom Geist der jeweiligen Zeit. Fixpunkt ist und bleibt der Schwarzwald, wo Barth-Grözinger aufgewachsen ist. Hier hat der Großvater mit seinen Geschichten wohl den Grundstein für das Erzählen und Schreiben bei der Enkelin gelegt.

Stilistisch ist Barth-Götzinger nicht eigenwillig, aber sie hat die Gabe, Atmosphärisches mit wenigen Worten überzeugend zu klären. Überhaupt ist sie ein unprätentiöser Mensch, sieht sich nicht als Künstlerin, eher als schriftstellerisch Arbeitende und hat immer noch ein bisschen Staunen in der Stimme, wenn sie über den eigenen Erfolg spricht. Leicht macht sie sich das Schreiben nicht, der Aufwand, den sie vor einem Buch betreibt, ist nicht zu unterschätzen. Und Herzklopfen ist immer dabei, wenn sie sich – die Grundidee mit der präzise abgeklärten Historie im Kopf – in das Geschehen stürzt, das sie leicht amüsiert als „Doku-Fiktion“ beschreibt. Nun ist ihre „Wildblütenzeit“ da. Eine komplizierte Familiengeschichte um das Hotel- und Restaurant-Traditionshaus „Zum Markgrafen“ in Ettlingen. „Die große Schwarzwaldsaga“ ist der Untertitel für die Zusammenhänge zum heutigen „Erbprinzen“, die im Jahre 1945 beginnen und erzählerisch die vielen Jahre davor aufblättern. Für trostlose Finale hat Barth-Grözinger auch hier wieder nichts übrig – es ist immer ein bisschen Mutmachen dabei, wenn ihre Bücher enden.

Autor: Gabriele Meyer