Calw -  01.08.2023
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Open-Air beim Calwer Klostersommer: Nena trotzt dem Nieselregen

Calw-Hirsau. Ihre Konzerteröffnung ist phänomenal. Nena startet ihren Open-Air-Auftritt beim Klostersommer mit „Liebe ist“, dem Titelsong der Reihe „Verliebt in Berlin“. Und das beeindruckend textsichere Publikum verwandelt den wie eine Sardinenbüchse gefüllten Stehplatzbereich in ein Meer raumgreifend winkender Arme. Schon jetzt sind Nieselregen, Nässe, Poncho und Kapuze kollektiv vergessen.

„Nur geträumt“ geht steil

Nena und ihre neunköpfige Band erhöhen die Schlagzahl direkt mit „Nur geträumt“. Wie elektrisiert reagieren die Zuschauer auf diesen live immer noch steilgehenden 80er-Jahre-Song. Jubelnd feiern sie Frontfrau Nena samt ihrer Musiker auf der Bühne – und wohl auch einiges an juvenilen Erinnerungen aus der ureigenen Sturm- und Drang-Phase. Der nächste Titel – „(Die Welt dreht sich im) Kreis“ aus dem Album „Oldschool“ (2015) – hat kaum weniger Tempo, gibt aber das Hier und Jetzt illusionslos wider und beschreibt die Welt als eine Art Riesenkarussell. Die schon damals geschriebene Textzeile „Querdenker in Teufelskreisen, woll’n für immer im Heute bleiben“ kommentiert das Publikum in Hirsau nicht.

Mutiges Bad in der Menge

Auf der Konzertbühne ist Nena (Jahrgang 1960) ein absolutes Power-Phänomen, nahezu drei Stunden lang wirkt sie fast kraftvoller und beweglicher als ihre deutlich jüngeren Begleitmusiker; die Kölner Sängerin Emily Intsiful (geboren 1991) und Nenas leibliche Tochter, Larissa Kerner, sind bei Nenas „Wir gehören zusammen“-Tournee die Backing Vocals.

So unbekümmert wie sie ihren immer zum Mitsingen einladenden Songs die Stimme leiht, greift Nena in Hirsau auch zu unterschiedlichen Gitarren. „Ich habe vor zwei Jahren angefangen, Gitarre zu lernen – und finde toll, dass man mit drei Akkorden fast alles spielen kann“, lässt sie ihr Publikum lakonisch wissen, lächelt kurz und entfacht zu den rockig dargebotenen Titeln „Noch einmal“ und „Berufsjugendlich“ jeweils ein dezibelgewaltiges Höllenspektakel. Auch bei ihrem von einem Lichtkegel verfolgten Ausflug in die Tiefen des Zuschauerbereichs zeigt Nena außergewöhnliche Kondition. Mit scheinbar spielerischer Leichtigkeit bringt sie jetzt das Hirsauer Publikum dazu, die Textstelle „Wir sind frei“ (aus dem 2020er-Song „Zurück in die Zukunft“) wie in euphorischer Endlosschleife mitzusingen. Üppiger Beifall belohnt ihr mutiges Bad in der Menge.

Gefeierte Zugabe

„Wunder gescheh’n“ – mit Larissa Kerner am Akkordeon – wird vom Publikum wie eine Hymne mitgesungen und läutet den Höhepunkt von Nenas Klosterkonzert ein. Die finalen Höhepunkte folgen mit „Leuchtturm“ und einem Medley aus „99 Luftballons“ und Lennon/McCartneys „Hey Jude“.

Das aufgekratzte Publikum schreit buchstäblich nach mehr – und bekommt bis gegen 23 Uhr eine großzügig bemessene Zugabe, die mit „Irgendwie, irgendwo, irgendwann“, „Auf einmal warst du da“, „Zusammen“ und „Alles Neu“ noch einmal alle musikalischen Register der Band Revue passieren lässt. Klasse Konzert!

Übrigens: Hirsau ist Nenas einziges aktuelles Gastspiel im Südwesten. Ihre nächsten Tournee-Stationen sind: Bayreuth, Rostock, Ostende, Eindhoven und Lausanne.

Autor: Robin Daniel Frommer