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Pforzheim -  25.09.2025
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Angeklagter lebte in einer Scheinwelt: Freispruch wegen Grapscherei, aber Bußgeld wegen Sachbeschädigung

Pforzheim. Busengrapscher, Attacke auf einen Tabakautomaten oder Demolierung eines Fensters: Ein 37-jähriger Syrer hatte für jede Straftat ebenso kreative wie unglaubwürdige Erklärungen parat. Dass der Angeklagte vor dem Amtsgericht Pforzheim nahezu straffrei ausging, hatte er dem Gutachter zu verdanken, demzufolge er zeitweise in einer anderen Welt mit dunklen Ecken lebe und schuldunfähig sei.

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Der Fall wurde vor Gericht verhandelt. (Symbolbild) Foto: WESTOCK - stock.adobe.com

Wochenlang hatte der Angeklagte die Einnahme seiner Medikamente verweigert, daran konnte auch die psychiatrisch erfahrene Krankenschwester nichts ändern, die ihn täglich besuchte, um sich um ihn zu kümmern. Im April des vergangenen Jahres erreichte der gesundheitliche Zustand und Realitätssinn des 37-Jährigen einen neuen Tiefpunkt, er fragte seine Pflegerin, nach Tattoo, Intim- und Achselrasur. Ihre Antwort, dass ihn das nichts angehe, konterte er mit einem Griff an ihre Brust. Die Version des Angeklagten: Die Pflegerin habe ihn belästigt, seine Unterhosen angefasst, habe ihn zu seinen Gebeten befragt. „Das ist meine Sache. Ich kann meinen Schrank allein aufräumen. Ich habe die Frau rausgeschmissen“, interpretierte er die Anzeige wegen sexueller Belästigung als Rache an ihm. Anfang April dieses Jahres hat der Angeklagte mit einem Stuhl ein Fenster in seiner Pforzheimer Wohnung eingeschlagen; wegen des Lärms hatten Hausbewohner die Polizei alarmiert, die das Geschehen dokumentierte.

Die Version des Angeklagten:

„Das Fenster geht zur Straße. Jeder kann mich sehen. Ich wollte Vorhänge anbringen. Dazu brauchte ich einen Stuhl. Ich bin ausgerutscht.“

Ende April versuchte er schließlich, mit Fleischerhammer und Schraubenzieher einen Tabakautomaten aufzubrechen. Der Erfolg blieb ihm nicht nur deshalb verwehrt, weil die Polizei kam. Die Beamtin bescheinigte dem Vorgehen auch ungewöhnlich großen Dilettantismus.

Die Version des Angeklagten:

„Ich habe einen 20-Euro-Schein reingesteckt. Der Automat hat nicht funktioniert. Ich wollte nur mein Geld zurück. Ich habe zweimal mit der Hand auf den Automaten gehauen.“

Im Jahr 2015 ist der Syrer nach Deutschland geflohen, seit 2019 teils stationär, teils ambulant wegen Schizophrenie in psychiatrischer Behandlung am Klinikum Nordschwarzwald. Für Gutachter Dr. Gunther Essinger ist der 37-Jährige kein Unbekannter. Jahrelang hätten die Medikamente gut gewirkt. Erst nach dem eigenmächtigen Absetzen sei es beim Angeklagten zu sogenannten „psychotischen Einfällen“ gekommen. Da laufe parallel ein zweites, ganz anderes Programm im Kopf ab, an das der 37-Jährige sich hinterher nicht mehr erinnern könne. Die Gedächtnislücken würden mit Erklärungen gefüllt.

Es war das Urteil des Gutachters, das den Angeklagten vor empfindlichen Strafen rettete. Er attestierte dem Syrer mögliche Schuldunfähigkeit. Nur den Kampf gegen den Tabak-Automaten bewertete er anders. Eine Zwangs-Unterbringung sei nicht notwendig. Nachdem die Medikamenten-Gabe auf vierwöchige Depot-Spritzen umgestellt worden sei, stelle der Angeklagte keine Gefahr dar. Richterin Anja Weber sprach den Angeklagten im Fall des Brustgriffs sowie des Fensterkrachers frei. Für die Attacke auf den Tabak-Automaten berücksichtigte sie verminderte Schuldfähigkeit, beließ es aber angesichts des sauberen Vorstrafenregisters bei einer Geldstrafe von 15 Tagessätzen zu je zehn Euro.