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Ölbronn-Dürrn -  03.08.2018
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Diakoniestation Bauschlotter Platte versorgt pflegebedürftige Menschen in den eigenen vier Wänden

Ölbronn-Dürrn/Neulingen. Drei Stunden und 17 Minuten. So lange hat Laura Hötz laut Einsatzplan Zeit, um 15 Menschen in und um Neulingen zu besuchen, die in ihren Wohnungen auf sie warten. Die 22-Jährige arbeitet für den ambulanten Pflegedienst der Diakoniestation Bauschlotter Platte.

Im Auto stapeln sich Kartons mit blauen Plastikhandschuhen, Desinfektionsmittel, zig Schlüssel zur Privatsphäre anderer Menschen. Hötz kennt den Weg. Die Altenpflegerin fährt ihn jeden Tag, oft mehrmals.

Ihr erster Besuch am frühen Abend gilt Gerlinde Rothkopf. Die Seniorin erwartet „ihre Laura“ sehnsüchtig. Sie drückt die Pflegerin herzlich an sich. Dann lässt sie sich mühsam auf die Eckbank sinken, und Laura Hötz geht vor ihr in die Knie. Behutsam zieht sie der Seniorin die lästigen Stützstrümpfe vom Bein, massiert die müden Füße und Waden mit Creme. „Mäusle, du könntest meine Enkelin sein“, sagt Rothfuß zu der jungen Frau, die sorgfältig die Strümpfe über die Stuhllehne legt. „Sie muntert mich wieder auf. Wenn man alt wird, das ist nicht schön“, sagt die Seniorin, und ihre Augen werden feucht. Laura Hötz streicht ihr über die Schulter. Sanfte Worte, ein Kuss auf die Wange – dann muss die Pflegerin weiter.

Laura Hötz misst Blutzuckerwerte, setzt Insulinspritzen, zieht Stützstrümpfe aus, füttert Tablette um Tablette, versteckt unter einem Löffel Joghurt. Wie nebenbei dreht sie zu fest verschlossene Deckel von Sprudelflaschen, lobt neuen Blumenschmuck, fragt, wie es den Urenkeln geht. „Gerade, wenn die Leute wenig Besuch bekommen, ist es ihr Highlight, mit jemandem reden zu können“, weiß sie. „Man bekommt viel Einblick – in die Familie, das Altern, die Krankheit, Geldsorgen.“ In so vielen Wohnungen hängen die Wände voller Familienfotos – und doch erzählt jeder Quadratmeter von Einsamkeit.

„Diesen Beruf muss man mit Herz machen“, sagt Laura Hötz. „Dann merkt man: Die Leute sind sehr dankbar.“ Die Bindung zwischen ihr und ihren Kunden sei eng. Diese Nähe lässt sich nicht einfach abstreifen – auch nicht nach Feierabend. Und erst recht nicht, wenn irgendwo der Tod naht. „Abzuschalten fällt schwer. Man nimmt viel mit“, sagt die 22-Jährige. Sorgen, Ängste, Schmerzen, Trauer. „Es wird einem jeden Tag vor Augen geführt, dass man froh sein muss, wenn man gesund ist, aufstehen und arbeiten gehen kann.“

Gertrud Jäger sitzt auf der Bank vor ihrem Haus. „Aber nie in der Sonne“, beteuert sie. Dennoch ragen braun gebrannte Arme aus dem blauen Kittelschurz. Während Laura Hötz Insulin in ihre Bauchdecke spritzt, erzählt die Frau von ihren Enkeln, Urenkeln und davon, wie voll dieses Haus ist, wenn sie zu Besuch kommen. Vielleicht ist morgen wieder so ein Tag. Da wird Gertrud Jäger nämlich 93. „Ein bisschen alt“, findet die Frau mit den wachen, blauen Augen. „Ach was“, winkt Laura Hötz ab. Weiter geht es zu Ruth Wüst (89). Für sie plant Laura Hötz immer ein paar Minuten mehr ein. Denn die ältere Dame hat viel zu erzählen. Von ihrer Familie, Hüft-Operationen, ihrem letzten Sturz. Davon, dass sie nächstes Jahr vielleicht 90 wird – „wenn ich es erlebe.“ Frauen, das weiß die Pflegerin, sprechen gerne nebenher. Männer seien da eher „genant“, ihnen falle es schwerer, Hilfe anzunehmen.

So einzigartig die Menschen und ihre Geschichten, so routiniert die Arbeitsabläufe. Strümpfe, Tabletten, Insulin – die Handgriffe wiederholen sich. Die Fragen auch: „Und wann kommst du wieder?“ Erst nächste Woche, sagt Laura Hötz dann bedauernd. „Das ist aber noch lang“, findet eine ihre Kundinnen. Es klingt ehrlich traurig. „Morgen ist doch schon Freitag“, versucht die 22-Jährige zu trösten. „Ich komme wieder. Versprochen.“

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Autor: Lisa Belle