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Pforzheim -  26.12.2019
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Die kleine Kneipe sagt leise Servus: Nach 50 Jahren schließt das „Blumenheckstüble"

Pforzheim. Im gedämpften Licht dampft Kaffee aus der Tasse, vor der eine Frau am Tresen sitzt. Daneben spitzt ein älterer Herr für seine Weinschorle die Lippen. Unten an einem Tisch werden Karten geklopft. Ingeborg Sauter (61) schaut ins Rund und hat Tränen in den Augen: „Das hier war mein Leben.“ Seit 50 Jahren gibt es in der Nordstadt an der Hohenstaufenstraße das „Blumenheckstüble“. Zum Jahresende ist Schluss. Es sind gesundheitliche Gründe, die Sauter und ihren Sohn Manuel Potrzeba (42) zu dieser einschneidenden Entscheidung bewegten. Damit gehen in einer weiteren der nur noch wenigen urigen, im besten Sinne alteingesessenen klassischen Kneipen der Goldstadt zumindest vorerst die Lichter aus.

„Alle sind traurig“, berichtet Sauter von den Reaktionen ihrer Stammgäste, die hier seit Jahrzehnten ein- und ausgehen: „Viele sagen: Was machen wir denn nun ohne Dich in unserem Stüble?“

Eigentlich waren diese Räumlichkeiten für einen Friseursalon vorgesehen gewesen. Doch dann wurden sie doch als Kneipe genutzt – bereits nach einem Jahr löste Sauters Mutter Gisela Maier die erste Pächterin ab. Das war am 1. April 1969. Seither wurde das „Stüble“ zur Familiensache und über drei Generationen zum Lebensinhalt der Wirtsleute. Bis 1989 führte Gisela Maier das Lokal, 1990 übernahm Tochter Ingeborg Sauter die Regie. Für deren Sprössling Manuel Potrzeba war es keine Frage, dass auch er zum professionellen Gastgeber werden würde, was er seit 2006 ist. „Er sagt immer, er wurde hier ja reingeboren“, erzählt die Mutter schmunzelnd.

Spiel, Spaß und Erfolge

Täglich von 9 bis 23 Uhr Betrieb, nur den Sonntag als Ruhetag: „Natürlich bleibt da die Freizeit auf der Strecke, und das Familienleben wird vernachlässigt“, sagt Ingeborg Sauter. Auch dass es immer strengere Auflagen und höhere Kosten gebe, sei „sehr hart“. Dafür aber sei man hier „immer von gut gelaunten Menschen umgeben“. Sauter spricht weder von Kunden noch von Gästen – „das sind Freunde“, stellt sie heraus. Und für diese Freunde hat sie sich mit ganzer Kraft ins Zeug gelegt. Hat die Kneipe stets – insbesondere zu Ostern und Weihnachten – schmuck dekoriert. Hat nicht nur zu Fasching Feten gefeiert: „Unsere Partys waren immer genial, einfach unübertroffen.“ Hat Städtereisen für ihre Leute organisiert: „30 solcher Ausflüge waren es bestimmt.“ Und musste im kleinen Lokal nach immer neuen Plätzen für Pokale suchen, die über die Jahre eingeheimst wurden. Sauter ist nicht nur Senatorin in der Karneval-Gesellschaft „Hochburg 1972“, sondern seit Jahrzehnten auch Vorsitzende des Skatvereins „Goldstadtasse“, der etliche Landesmeisterschaften errang, zweimal sogar Deutscher Meister wurde. Zudem trainiert bei ihr der Dartverein „Texas Team“, mehrfacher Meister in der höchsten Spielklasse Baden-Württembergs für E-Darts.

Ein Spiel – das Thekencurling – wurde im „Blumenheckstüble“ auch erfunden. Es hat sogar sein eigenes Lied. Der pensionierte Kriminalbeamte und Hobbymusiker Peter Arnold dichtete die Zeilen, die zur Melodie von „Die kleine Kneipe“ gesungen werden. „Im ,Blumenheckstüble‘ gibt’s keine Skandale“, heißt es darin. Weil hier „alles immer harmonisch läuft“, wie die Wirtin betont. Menschen zwischen 18 und 90 Jahren säßen beieinander und verstünden sich gut. „Wir sind ein Raucherlokal, und trotzdem kommen viele Nichtraucher und fühlen sich wohl“, betont Sauter. Wie sowas geht? „Man muss den Leuten zuhören und immer menschlich bleiben, dann klappt das.“

Ein zweites Zuhause

In diesem Herbst haben alle zusammen den 90. Geburtstag von Mutter Gisela gefeiert, die mit der Stretchlimousine abgeholt wurde und über einen roten Teppich noch einmal Einzug hielt im „Stüble“. Ein weiterer unvergesslicher Moment der kleinen Kneipengeschichte. In den nächsten Tagen wird das „Blumenheckstüble“-Lied „noch ganz oft laufen“, schätzt Sauter. Am Silvestertag heißt es: „Brezelwürfeln“ und Austrinken. Dann ist es vorbei. „Es ist die richtige Entscheidung“, weiß die Wirtin, die nun mehr Zeit mit ihrem Mann verbringen und sich intensiver um die Eltern kümmern will. Kurzreisen wären was. Und ja, sie werde als Gast wiederkommen. Denn es gebe einen neuen Pächter, der das Lokal ein wenig herrichten, aber in bewährtem Sinne weiterführen wolle. Klar, „so wie jetzt wird es nicht mehr sein“, sagt Sauter. Das „Blumenheckstüble“ könnte aber Zukunft haben, wenn der Neue das beherzigt, was Sauter stets tat: „Ich wollte immer, dass die Leute bei mir meinen, sie wären im Wohnzimmer.“

Autor: erb