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Mühlacker -  28.04.2024
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Eine Innenstadt aus einer anderen Zeit: So sah die heutige Fußgängerzone Mühlacker vor dem Umbau aus

Mühlacker. Ein „Jahrhundert-Projekt“, eine „mutige und weitsichtige Entscheidung“ und „ein Platz zum Wohlfühlen“ – noch mehr Superlative hätte Mühlackers Oberbürgermeister Klaus Schönfeld im April 1996 über die neue Fußgängerzone wohl kaum mehr finden können. Die Umgestaltung der unteren Bahnhofstraße war damals der Schlusspunkt der Umgestaltung des Senderstädter Stadtkerns.

Durchfahrt gestattet mit Tempo 30. Wie dieses Bild aus dem Mühlacker Stadtarchiv zeigt, kann man im Mai 1988 bequem mit dem Auto durch die untere Bahnhofstraße fahren und sogar direkt vor den Geschäften parken.
Durchfahrt gestattet mit Tempo 30. Wie dieses Bild aus dem Mühlacker Stadtarchiv zeigt, kann man im Mai 1988 bequem mit dem Auto durch die untere Bahnhofstraße fahren und sogar direkt vor den Geschäften parken. Foto: Stadtarchiv Mühlacker

Noch wenige Jahre zuvor fuhren Zehntausende Fahrzeuge in diesem Bereich rund um den ehemaligen Mühlehof und am Kaufhaus Sämann vorbei. „Trotz einiger kritischer Stimmen“, hieß es damals in der PZ, sei laut Schönfeld eine „ansehnliche Fußgängerzone“ entstanden, die zudem noch „stetig an Attraktivität gewinnen wird“. Die Anziehungskraft Mühlackers erhöhe sich weiter und „die attraktive Stadtmitte wird die Ausstrahlung des Mittelzentrums in das Umland spürbar stärken“. Die Gesamtkosten nur für diese Maßnahme betragen damals vier Millionen Mark.

Schon 1984 war die Domäne für die Fußgänger grundsätzlich beschlossen worden. Um die Fußgängerzone überhaupt schaffen zu können, mussten die B 10 verlegt werden sowie im Vorfeld zahlreiche Wohn- und Fabrikgebäude gekauft und abgebrochen werden.

„Die untere Bahnhofstraße muss unter allen Umständen Fußgängerzone werden“,

- heißt es auch in einem Aktenvermerk vom städtischen Bau- und Planungsamt kurz vor der Umgestaltung 1995.

Selbstverständlich müsse der „Andienungsverkehr“ zugelassen werden. „Es ist nicht so, dass in einer Fußgängerzone überhaupt kein Fahrzeug mehr verkehren kann“, hieß es. So kommt es dann auch. Nach der Inbetriebnahme der neuen Bergstraße im Herbst 1995 wird die untere Bahnhofstraße für den Durchgangsverkehr gesperrt und als Fußgängerzone ausgewiesen. Lieferverkehr und Radfahrer werden zugelassen, der Anliegerverkehr nur über Ausnahmeregelungen, beschließt der Gemeinderat im April 1995.

Die Gewöhnung der Menschen an die damals neue Situation dauert trotzdem an. Die neuen Verkehrsschilder halten zahlreiche Autofahrer nicht davon ab, weiterhin durch die untere Bahnhofstraße zu fahren oder dort zu parken, berichtet die PZ im Januar 1996. Erst allmählich verbessert sich die Situation, nachdem Vollzugsdienst und Polizei regelmäßig kontrollieren. Die Nachwehen aber bleiben. So verlässt beispielsweise das Unternehmen Antoni+Don den Mühlehof – Grund waren damals die fehlenden ebenerdigen Parkplätze, an die die Kunden vor dem Umbau der unteren Bahnhofstraße zur Fußgängerzone gewohnt gewesen seien. So steht es in der PZ am 6. November 1998. Schon zuvor hatte man sich in Mühlacker Gedanken gemacht, wie man die Attraktivität der Fußgängerzone steigern könne. Belebt werden sollte die Flaniermeile mit Marktständen von einem Obst- und Gemüsehändler, von der Bäckerei Heidinger und der Metzgerei Lindauer. Nach Beschwerden der Sparkasse über die Verkaufswagen vor dem Bankgebäude habe es allerdings keine für alle Seiten zufriedenstellende Lösung gegeben.

Auch heute ist man von einer zufriedenstellenden Lösung weit entfernt. Der Mühlehof ist längst Geschichte, der Wochenmarkt findet nicht mehr auf dem Kelterplatz, sondern im Wertle statt – und auch das Kaufhaus Sämann in der Fußgängerzone gibt im Sommer auf. Erholen, Spielen, Spazieren und Einkaufen – das sind die Themen, die damals in der Fußgängerzone verwirklicht worden sind. Aber die Anforderungen haben sich geändert.

So haben sich die Anforderungen geändert

Im vergangenen Jahr hat die Fußgängerzone in Deutschland ihr 70-jähriges Jubiläum gefeiert. Am 9. November 1953 wurde die erste Flaniermeile in Kassel eingeweiht. Doch das Erfolgsmodell, das die Fußgängerzonen über viele Jahre im ganzen Land war, ist auf dem absteigenden Ast. Wo sich früher Warenhäuser aneinanderreihten, dominieren heute die Leerstände. Der Online-Handel macht den verbliebenen inhabergeführten Geschäften das Leben schwer. Wer keinen Nachfolger findet, muss gleich ganz aufgeben. Experten sind sich einig: Überdimensionierten Einzelhandel wird man nicht mehr brauchen. Es gibt zu viele Flächen für den Handel. Das hat längst nicht nur die deutsche „Innenstadtstrategie“ erkannt, auch der Handelsverband Deutschland stimmt dem zu. Gewünscht bei den Menschen ist heute eine Innenstadt, die lebt und pulsiert – und die für alle da ist, auch wenn sie nicht einkaufen wollen. Das Bedürfnis ist da nach schönen Räumen und Plätzen, gemütlichen Cafés und Restaurants, die die Menschen anlocken. Multifunktionale Viertel – daran arbeiten zahlreiche deutsche Städte.

Autor: stä

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