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Eisingen -  25.05.2018
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Eisinger hält Fäden in Deutschlands größter Freilichtbühne in der Hand

Eisingen/Ötigheim. Der Eisinger Marc Moll hat einen Job, wie es ihn wohl kaum ein zweites Mal gibt. Und das in einem Umfeld mit Seltenheitswert: Die Volksschauspiele Ötigheim bespielen die mit 174 auf 62 Meter Deutschlands flächenmäßig größte Freilichtbühne, samt unterirdischer Gänge, die immer wieder für überraschende Auftritte der Darsteller sorgen. Bei der neuen Produktion „Der Vogelhändler“ sind 500 Mitwirkende beteiligt.

Zudem besitzen die bodenständigen Volksschauspiele seit ihrer Gründung durch Pfarrer Josef Saier im Jahr 1906 eine Vereinsstruktur mit christlicher Ausrichtung. Auch heute ist ein Ötigheimer Pfarrer der Erste Vorsitzende, der Bürgermeister der Zweite.

Marc Moll ist Geschäftsführer des „professionellen Amateurtheaters“ mit 14 hauptamtlichen Mitarbeitern, inklusive Schneiderei und Technik. Der gebürtige Pforzheimer muss den Überblick über etwa 1600 Mitglieder behalten, eine künstlerische Bürgerinitiative von beeindruckender Größe. Bis zu 700 Mitwirkende aller Altersgruppen engagieren sich Jahr für Jahr vor oder hinter der Bühne. „Volk spielt fürs Volk“ – dieses Motto gilt in Ötigheim bis heute.

Örtliche Vereine engagieren sich

Eine Mammutaufgabe für den Mann, der seit zehn Jahren die Fäden in der Hand hält. Allein beim „Vogelhändler“, der in dieser Saison auf dem Programm steht, sind mit Statisten 500 Leute beteiligt, darunter örtliche Musik- und Gesangsvereine. „Viele sind in irgendeiner Form mit im Boot“, sagt der 40-Jährige. Die Terminkoordination für Proben und Spielzeiten sei angesichts der schieren Menge eine besondere Herausforderung.

„Zudem bedarf es einiges an Infrastruktur wie Bewirtung und Ordner. Und es gibt keine Veranstaltung, an der es nicht irgendwo hakt“, so Moll. Er sei daher an nahezu jedem Abend vor Ort, um reagieren zu können. Auch sonst ist Moll oft bis spät in Ötigheim, wenn er mit den vielen Ehrenamtlichen Brettchen bohren muss. „Das braucht schon große Flexibilität“, räumt er ein. Von dieser profitiere er aber an Tagen, an denen er in seinem heimischen Büro in Eisingen arbeiten kann. Auch das Thema Sicherheit sei wichtiger geworden. Moll hat Mitarbeiter eingestellt, die stichprobenweise Taschen von Besuchern kontrollieren. Das habe es in der langjährigen Geschichte der Bühne noch nie gegeben. „Aber wir bekommen gute Rückmeldungen. Die Besucher fühlen sich sicherer“, so Molls Fazit.

Sehnsucht nach Heiterem

Weitere Besonderheit der Bühne: Haupt- und Ehrenamtliche bilden einen Ausschuss für die künstlerische Leitung. „Anderswo gibt es einen Intendanten, hier trifft der Verein die Entscheidungen.“ Dieser kümmert sich gemeinsam mit Moll um die Gestaltung des Spielplans. Und der soll alle Generationen ansprechen: Es gibt Weltliteratur, Schauspiel, Operetten und Klassikkonzerte. Mit Blick auf die Wurzeln der Bühne inszenieren die Regisseure auch christliche Stücke und Passionsspiele. Typisch sind imposante Massenauftritte, Chöre und historische Kostüme. Bisweilen bereichern Kühe, Pferde und Schafe das Bild. Friedrich Schillers „Wilhelm Tell“ brachte den Laiendarstellern einst den Durchbruch, es wurde zum Ötigheimer Paradestück.

Mit anderen Freilichtbühnen, etwa in Jagsthausen, Schwäbisch Hall oder Reutlingen, tauscht sich Moll gelegentlich darüber aus, was gut läuft und was nicht. Und auch wenn er durch Befragungen wisse, dass ein Großteil seiner bis zu 4000 Gäste pro Vorstellung nach Unbeschwertem, Heiterem suchten, so wolle er doch Stücke mit Anspruch und Tiefgang anbieten. Jeder fünfte Gast komme aus dem Enzkreis, also etwa 15.000 im Jahr. „Auch Busunternehmen bieten Reisen zu uns an“, so Moll.

Insgesamt liegen die Besucherzahlen seit langem stabil bei 80.000 bis 100.000 im Jahr mit einer Auslastung zwischen 70 und 85 Prozent. Die Spitzen erreiche man in Jahren, in denen ein Dauerbrenner wie das „Weiße Rössl“ bis zu 20 Mal laufe, bei gut 35 Vorstellungen insgesamt.

Ein Nachwuchsproblem hat die Bühne nicht – selbst in Zeiten, in denen das Zeitbudget nicht nur von Jugendlichen immer knapper wird. Aber die Volksschauspiele tun auch etwas dafür, dass das so bleibt: Mit einer Ballettschule, musikalischen Schulungen und Workshops gebe es eine Konzeption, in der sich die interessierte Jugend künstlerisch wiederfinden soll. „Wir sind der tief verwurzelte Rückhaltepunkt für die Dorfjugend“, beobachtet Moll. Manchmal seien vier Generationen „auf dem Spielfeld“.

Autor: Michael Müller