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Bad Wildbad -  26.07.2019
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Extrawürste und vergrabene Prunkstücke: Ungewöhnliches Festkonzert mit „Rossini-Alternativen“

Bad Wildbad. „Viva la De Er Ghe!“ Dieser geschmetterte Hochruf beschloss das Festkonzert, mit dem das Belcanto-Festival „Rossini in Wildbad“ das 30-jährige Bestehen der verdienstvollen Deutschen Rossini-Gesellschaft (DRG) feierte.

Das angehängte, augenzwinkernde Pasticcio aus lauter Melodien des „Schwans von Pesaro“ als Hommage an die Rossini-Förderer markierte ein launiges Finale.

Das Programm des Abends war alles andere als gewöhnlich. Auf dem Zettel standen dreizehn Stücke, die der Meister seinen Opern ad hoc nachträglich einfügte, um den Wünschen der Primadonnen nach vokalen Extrawürsten zu begegnen, akute Notfälle bei Umbesetzungen und veränderter Tessitur der Sänger zu lösen, Anpassungen an den Geschmack des Publikums vorzunehmen oder bereits notierte Glanzpartien aufzuhübschen. Da erwiesen sich die angekündigten „Rossini-Alternativen“ als eine hörenswerte Folge von „Kofferrollen“ für umherziehende Goldkehlchen und vergessenen Prunkstücken, die sich in der Aufführungstradition nicht gehalten haben.

Viele dieser Stücke sind nur beiläufig, sehr verstreut und in reduzierter Form als „tote Noten“ überliefert und wurden von der Fondazione Rossini und insbesondere dem Spezialisten Stefano Piana von der DRG so rekonstruiert, dass ihr Klangbild den vermuteten Intentionen Rossinis möglichst nahe kam. Zu den Höhepunkten der Abends gehörte etwa ein wunderbares Terzett aus „Maometto II“, das erst kürzlich im Archiv des Fenice-Theaters in Venedig gefunden wurde und zeigt, dass die Alternativ-Zutaten nicht nur Arien oder (seltener) Duette, sondern auch größere Ensembles sein konnten. Das Stück bietet feinste Ohrenwonne typisch Rossini‘ scher Machart. Auch die virtuose Kavatine der Isabella aus der „Italienerin in Algier“, deren exquisite Verzierungen, Triller und Läufe Victoria Yarovayo mit fülligem, beweglichem Mezzo grandios umsetzte, ist ein schöner Fund, auch wenn nicht ganz geklärt ist, warum und für wen der Komponist diese dankbare Auftrittsarie eingefügt hat.

Erstmals für ein modernes Publikum erklang die Bravourarie des Giocondo aus „La pietra del paragone“, die dieser Oper erst neuerdings nach detektivischer Recherchemühe zugewiesen werden konnte. Das Stück gab dem famosen Tenor César Cortés üppige Gelegenheit, seine höhensichere, koloraturtaugliche Stimme vorzuführen. Auch die in Wildbad vielfältig bewährte Sopranistin Silvia Dalla Benetta stellte die Vorzüge der ausgewählten Plus-Stücke eindrucksvoll heraus – etwa die große Arie der Isabella aus „L’inganno felice“, deren Wiederherstellung zu den „Pioniertaten“ der DRG zählt, oder die jetzt erstmals ausgegrabene Arie der Cristina aus „Eduardo e Cristina“, die Diana Haller in der Cavatina des Eduardo aus derselben Oper mit heroisch gefärbtem Mezzo klangprächtig ergänze.

Kurzfristig wurde ein reizvoller Ausschnitt aus der Oper „Matilde di Shabran“, die heutez um letzten Mal bei „Rossini in Wildbad“ läuft, ins Programm genommen. Im Ensemble taten sich vor allem der vorzügliche Tenor Francisco Brito und abermals Victoria Yaranaya hervor. Und mit dem rekonstruierten Finale der „Semiramide“ hob das Festkonzert einen weiteren Schatz aus den Archiven der vergessenen Rossini-Bestände.

Gelegentliche Patzer des strapazierten Passionart Orchestras Krakow trübten nur wenig den Genuss, zumal der versierte Dirigent José Miguel Pérez-Sierra den Abend mit unbeirrbarer Sicherheit und vitaler Musikalität durch allfällige Strudel steuerte und den Solisten wie auch dem kraftvollen Górecki Chamber Choir eine verlässliche Stütze war.

Autor: Rainer Wolff