Ganz große Oper: Premiere von „Corradino“ begeistert mit großartigen Belcanto-Stimmen
Bad Wildbad. Großraumbüro, die Tastaturen klappern. An schweren Schreibtischen mit Leuchte und Telefon wird angespannt getippt, diskutiert, telefoniert. Hinten an der Wand liest man „Corradinos Tagesspiegel“.
Hier also regiert dieser Eisenherz, der ein Frauenhasser ist und von Gefühlen für weiblichen Liebreiz nichts wissen will. In Rossinis Oper ist er ein brutaler Fürst. In Bad Wildbad ein gefürchteter Chefredakteur, was zur flott und dramatisch genommenen Ouvertüre klar wurde. Wenn das Orchester seine wütenden Akkordbatzen stampfte, gestikulierte der cholerische Chef sein Geschimpfe unter bedrohlichem Scheinwerferlicht. Erklangen hingegen die munter pfeifenden Rossini-Flöten, brachte zeitgleich ein emsiger Journalist Espresso für die Kollegen. Die Herren des Górecki Chamber Choir waren alle fesch mit Krawatte und Hosenträgern gekleidet.
Musik und Inszenierung gingen am Donnerstagabend in der Trinkhalle Bad Wildbad bestens zusammen, dem Aufführungsort der ansonsten selten gespielten Rossini-Oper „Corradino – Eisenherz und Schönheit oder Matilde di Shabran“ unter der Regie der italienischen Sopranistin Stefania Bonfadelli. Wegen stimmlicher Erkrankung konnte der für die Hauptrolle vorgesehene Tenor Michele Angelini nur pantomimisch spielen. Spontan und mit nur wenigen Tagen Vorbereitung übernahm für ihn der an der Stuttgarter Oper verpflichtete Francisco Brito den Gesangspart. Stehend am rechten Bühnenrand meisterte Brito den gesanglichen Höllenritt sehr gut und bewies ein ausgeglichenes Stimmregister auch in den wildesten Höhen. Rossini komponierte in die Partie viele tobende Koloraturen hinein. Wie gesagt: Corradino ist ein schnaubender Frauenhasser. Klar, dass er sich dann natürlich doch verliebt – man ist schließlich in der Oper.
Mit glasklarem Sopran
Matilda, interpretiert von der katalanischen Sängerin Sara Blanch, rollt sexy im figurbetonten Hosenkostüm auf der himmelblauen Vespa daher, als rasende Reporterin. Die wallenden tiefschwarzen Haare wirft sie über die Schulter und brilliert mit einem glasklaren Sopran, der sich charmant und bestimmt über den Gesamtklang von Orchester und Solisten legt. Gesangliche Triller und Verzierungen nutzt sie, um stimmlichen Schwung zu halten oder zu steigern. Einfach nur grandios!
Dass Corradino ihr verfällt, ist deshalb logisch. Wobei die Handlung natürlich – man ist schließlich in der Oper – nicht ganz so geradlinig diesem Finale zustrebt. Da gibt es noch die eifersüchtige und machtstrebende Contessa d’Arco, mit ehrgeiziger Schärfe gesungen von Mezzosopran Lamia Beuque, die derzeit Stipendiatin der Wildbader Akademie BelCanto ist. Die Contessa stiftet Intrigen, verbreitet Fake News, was dem unter schlechten Honoraren leidenden Isidoro gelegen kommt. Giulio Mastrototaro gibt den hungernden Dichter mit fülligem und ironischem Bariton.
Weiter gibt es noch Edoardo, eine Hosenrolle, dicht und innig gesungen von Mezzosopran Victoria Yarovaya. Edoardo will Fairness in die Redaktion bringen, wird aber zum Spielball der Contessa. Rauchend mit Sonnenbrille gab Bariton Emmanuel Franco unterhaltsam die komische Rolle des Hausarztes Aliprando. Für die eigentliche Handlung ist er so unwichtig wie der Turmwächter Ginardo alias Bassbariton Ricardo Seguel oder Edoardos Vater Raimondo, der erst im zweiten Akt seinen Auftritt hat – präsent und souverän gesungen vom Bass Shi Zong.
Römische Urfassung
Zu viele Personen, lautete schon die Kritik zu Rossinis Zeiten, als „Corradino“ in Rom uraufgeführt wurde. Dennoch führte Bad Wildbad nun – erstmals in Deutschland – diese römische Urfassung von 1822 auf. Die Rossini-Fans, darunter viele Senioren mit Opernerfahrung, haben es genossen. Dieser „Corradino“ hat etwas Urwüchsiges. Unverhofft tut sich in der Musik zum Beispiel einmal ein wunderschönes, melodiös sehr lang gezogenes Hornsolo auf, das aus dem Orchester gekonnt und überwiegend treffsicher realisiert wurde. Für das 2013 in Polen gegründete Passionart Orchestra Krakow, in dem junge Konzertmusiker und Absolventen der Krakauer Musikakademie spielen, ist das diesjährige Mitwirken in Wildbad das erste Projekt im Ausland. Dirigent José Miguel Pérez-Sierra hielt musikalisch alles bestens zusammen, vor allem im Finale, das den Sieg der Frauen über die Welt besingt. Jener „Corradinos Tagesspiegel“ kriegt am Ende nämlich eine Chefredakteurin, und an die Schreibtische setzen sich nur die Mädels. Ach ja … alles nur Oper!
