Hier fällt der Apfel weit vom Stamm: Kinder von Polit-Promis erzählen
Pforzheim. Wer in einem politisch aktiven Elternhaus groß wird, der tritt in natürlicher Folge meist der Partei der Eltern bei. Doch es gibt Ausnahmen, auch recht prominente. Warum ist das so und was steckt dahinter? Um das zu ergründen, hat die PZ mit Kindern zweier ehemaliger Ministerpräsidenten und einer Ministerin sowie einem langgedienten Gemeinde- und Kreisrat in Straubenhardt gesprochen.
Die Filbingers: Sohn Grüner – Vater CDU
Einen berühmten Vater zu haben, kann Segen und Fluch zugleich sein. Für Matthias Filbinger war es weder das eine noch das andere, Sohn von Hans Filbinger (CDU) zu sein, der von 1966 bis 1978 baden-württembergischer Ministerpräsident war: „Es war eine Aufgabe für uns Kinder, eine politische Rolle zu spielen. Von uns wurde gutes Benehmen erwartet und keine Auffälligkeiten“, erzählt der 69-Jährige der PZ. Filbinger hat vier Schwestern. „Wie sagte unser Vater immer? Benehmt euch! Was sollen denn sonst die Leute über euch denken?“
Das hat aber nicht immer geklappt, erinnert sich der Sohn. 1973 etwa flog er aus dem Internat in St. Blasien. Er hatte einen selbstgebastelten UKW-Sender im Lehrerzimmer installiert, so dass 400 Schüler die Lehrerkonferenz live mithören konnten, bevor die ganze Sache aufflog. Der Vater, erzählt Filbinger, war „not amused. Ein zweistündiges, sehr, sehr intensives Gespräch folgte.“
Dass der Sohn 1994 in die CDU eintrat, habe den Vater nicht nur gefreut, sondern „es war die Konsequenz unserer politisch christlichen Sozialisierung. Bei uns zu Hause gab es keine andere Partei als die CDU.“ Auch auf Wahlkampfveranstaltungen habe man den Vater unterstützt. Es wurde viel politisch diskutiert zu Hause, „gerade, wenn man eine andere Meinung hatte“.
Neben Sohn Matthias waren auch zwei seiner Schwestern politisch aktiv in der CDU. Doch anders als sie kehrt Matthias Filbinger der Partei 2008 den Rücken. Grund seien politische inhaltliche Querelen zwischen ihm als Mitglied des Bezirksbeirats in Stuttgart Vaihingen und der CDU-Fraktion im Gemeinderat gewesen. Filbinger wurde vorgeworfen, nicht parteikonforme Standpunkte etwa beim Thema Stuttgart 21 zu vertreten. Der Vater starb ein Jahr zuvor, wie hätte er auf den CDU-Austritt reagiert? „Ich kann mir vorstellen, er hätte gesagt: ,Bei den Themen hast du dich durchgesetzt, hast Rückgrat gezeigt.“ Er hätte Verständnis gehabt.
2010 tritt Matthias Filbinger bei den Grünen ein, denen er bis Ende 2024 angehörte. Die Nähe zu ökologischen Themen habe er schon immer gehabt, erzählt er. „Uns wurden schon als Kinder Natur, Umweltschutz und sparsamer Umgang mit Energien eingebläut. Das haben wir jeden Tag gelebt.“ Hätte der Vater auch dafür Verständnis aufgebracht? Vermutlich hätte er es nicht ernst genommen, Filbinger erzählt lachend: „1980, als die Grünen das erste Mal in den Landtag kamen, hat mein Vater gesagt: ,Es ist niemals vorstellbar, dass die an die Regierung kommen.‘ Und ich habe damals gesagt: ,Na, warum nicht? Es kann sich doch politisch einiges ändern.‘“ Der Sohn sollte recht behalten.
Die Streibls: Sohn Freie Wähler – Vater CSU
„Bei uns zu Hause lag immer ,Der Spiegel‘ auf dem Wohnzimmertisch“, erinnert sich Florian Streibl, Sohn von Max Streibl (CSU), der von 1988 bis 1993 Ministerpräsident Bayerns war. Die Kindheit des heute 62-Jährigen war von Politik geprägt: „Beim Essen wurde immer darüber gesprochen, auch kontrovers. Mein Vater hatte Freude am Diskutieren. Abends liefen ,Tagesschau‘ und ,heute journal‘. Das war Standard.“
Streibl erzählt aber auch, dass er und seine beiden Geschwister als Kinder „funktionieren“ mussten: „Im Privatleben war mein Vater sehr liberal, aber bei offiziellen Anlässen wurde bei uns Kindern großer Wert auf gutes Benehmen gelegt: Keinen Ärger machen, brav am Tisch sitzen, nur reden, wenn man gefragt wird.“ Die Erwartungen waren hoch. „Über mein Theologiestudium habe ich dann versucht, mich von der Familie etwas abzukapseln. Denn eins war für mich damals klar: Ich wollte nie Politiker werden.“ Er habe an seinem Vater, der selten zu Hause war, gesehen, wie viel Zeit dieser Job einnimmt – werktags wie am Wochenende. Dazu kam das ständige Beobachtetwerden: „Wenn wir ins Gasthaus gegangen sind, fingen die Leute an zu tuscheln und guckten genau: Was essen die? Was trinken die? Das war das ganze Jahr über eine Belastung.“
Dennoch tritt der Sohn im Alter von 25 Jahren in die Partei des Vaters ein. Das war 1988, just in dem Jahr also, als Max Streibl Ministerpräsident wurde. Der Austritt aus der CSU wiederum fällt mit seinem Rücktritt 1993 aufgrund der Amigo-Affäre, bei der es um Vetternwirtschaft ging, zusammen. Ein Zufall? „Nein“, betont der Sohn. „Als mein Vater ins Amt kam, wurde auch seitens der CSU erwartet, dass die Kinder in der Partei sind. Als ich dann miterlebt habe, in welcher Art und Weise die CSU meinen Vater aus dem Amt gedrängt hat, wusste ich: Hier ist kein Platz mehr für mich.“ Er schiebt hinterher: „Mein Herz hing nie so richtig an der CSU.“ Der Vater habe den Austritt damals als mutig bezeichnet, „und er war, glaube ich, insgeheim stolz, dass ich diese Konsequenz gezogen habe.“
Heute ist Florian Streibl Fraktionsvorsitzender der Freien Wähler im bayerischen Landtag – also doch Politiker geworden, nur in einer anderen Partei. „Ja, es ist anders gekommen. Aber ich kann meinen Vater heute viel besser verstehen, weil ich erlebe, wie das Leben als Politiker ist. Es hat mich ihm wieder näher gebracht.“
Die Stamms: Tochter Grüne – Mutter CSU
„Kurz gesagt: Ja, ich bin in eine PolitikerInfamilie hineingeboren. Und das ist schon ein Wert an sich“, sagt Claudia Stamm. Ihre Mutter war in Bayern eine prominente und hochrangige CSU-Politikerin: Staatssekretärin, Ministerin, stellvertretende Ministerpräsidentin und Präsidentin des Bayerischen Landtags. „Bei uns daheim war Streiten und danach einen Kaffee oder einen Wein zusammen zu trinken selbstverständlich. Meinen Weg, meine Überzeugungen musste und konnte ich mir erarbeiten“, erzählt die 55-jährige Tochter der PZ.
In der bayerischen Politik habe es einige Kinder von CSU-Größen gegeben, die dann auch in der Partei Karriere gemacht hätten, „doch darum ging es nie“, sagt Stamm. Sie trat 2009 bei den Grünen ein, für die sie auch acht Jahre lang im bayerischen Landtag saß. „Schon sehr früh, in meiner Jugend, habe ich gelernt, um die ,richtigen’ Werte zu ringen – im durchaus kontroversen, politischen Diskurs.“ Dabei sei eine Freundin wichtig gewesen, die sehr alternativ unterwegs war. Stamm: „In der Schulzeit waren ihre Standpunkte prägend für mich. Leider verlor ich sie, da sie sich in der Oberstufe das Leben nahm.“ Die Mutter bei der CSU, die Tocher bei den Grünen: „Ja, in meiner Familie wurde politisch wirklich lebhaft diskutiert. Am Küchentisch gab es Debatten, auch mit engen politischen Weggefährten meiner Mutter hatte ich heftige, inhaltliche Auseinandersetzungen.“ In ihrer Pubertät gab es also nicht nur die typischen Mutter-Tochter-Streitigkeiten wie die um eine Hose, sondern eben auch solche um die Verlängerung des Wehrdienstes zum Beispiel. „Aber, was ich meiner Mutter hoch anrechne: Sie war niemand, die starr in ihren Positionen verharrte. Klar, in dem Moment stritten wir, aber sie dachte nach und bewegte sich auch. In manchen Punkten der Gleichstellungspolitik übernahm sie auch meine Positionen“, erinnert sich Stamm. Ihre Mutter verstarb vor rund drei Jahren. Da war die Tochter bei den Grünen schon ausgetreten und hatte eine eigene Partei unter dem Namen „Mut“ gegründet, deren Vorsitzende sie bis zum Tod ihres Mannes war.
Im Mai dieses Jahres hat Claudia Stamm parteiunabhängig als Oberbürgermeisterin für Würzburg kandidiert – und die Stichwahl knapp verpasst. Stamm: „Ich werde immer ein politischer Mensch sein.“
Die Vesters: Sohn CDU – Vater SPD
„Ich bin mit Politik quasi aufgewachsen – mein Vater war über
40 Jahre im Gemeinderat aktiv“, sagt Patrick Vester. Dabei habe er früh gesehen, wie viel Engagement es brauche, um Verantwortung zu übernehmen. Sein Vater, Hans Vester (74), ist ein SPD-Urgestein. Der 47-jährige Filius sitzt im Straubenhardter Gemeinderat wie der Vater es tat, allerdings für die CDU. Die Werte habe ich übernommen, die Parteifarbe jedoch nicht“, sagt Vester junior. Als Unternehmer sehe er vieles aus einem anderen Blickwinkel als sein Vater. „Themen wie Eigenverantwortung, Mittelstand und Handwerk brachten mich zur CDU.“
Lustigerweise sei es sein Vater gewesen, der ihn dazu überredet habe, sich für den Gemeinderat aufstellen zu lassen. „Eigentlich wollte ich mich auf meine Ehrenämter in den beruflichen Organisationen konzentrieren – als Obermeister der Zimmerer-Innung und stellvertretender Kreishandwerksmeister.“ Vater Hans ist im örtlichen Gremium nicht mehr aktiv, wohl aber im Kreistag.
Konflikte habe es wegen der unterschiedlichen Parteizugehörigkeit nicht gegeben, sagt Patrick. „Mein Vater hat sich immer gefreut, dass ich mich politisch engagiere – unabhängig von der Partei. Ihm war wichtig, dass man sich einbringt, statt nur zu kritisieren.“ Natürlich habe man über Themen diskutiert, aber immer respektvoll. Auch heute werde zu Hause über Politik diskutiert – „das liegt in der Familie“, erzählt er lachend. Aber es gehe dabei nie ums Recht haben, sondern um unterschiedliche Perspektiven. Gerade in Zeiten, in denen der politische Ton rauer werde, sei es wichtig, respektvoll zu bleiben.
„Mein Vater und ich sind uns in vielen Fragen gar nicht so fern. Wir schauen nur manchmal aus unterschiedlichen Blickwinkeln auf dieselben Themen“, erklärt Vester. Vom Revoluzzer der 70er-Jahre sei sein Vater heute eher zum Pragmatiker geworden. Am Ende zähle für beide das Gemeinwohl vor Ort – „da ziehen wir an einem Strang“. Und: „Heute frage ich ihn manchmal noch um Rat oder Hilfe.“
