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Remchingen -  09.02.2022
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Kulunka Teatro aus Spanien zeigt „Solitudes“ in der Kulturhalle Remchingen

Remchingen. Die hölzerne Pendeluhr tickt. Sie hängt an der Wand mit Blümchentapete und ist in der guten Stube des alten Mannes quasi seine treue Begleiterin. Mit seinen schlohweißen Haaren und den tiefen Altersfalten sitzt der Greis am Tisch, versunken in nutzlose Tristesse. Damit wenigstens etwas Unterhaltung aufkommt, stellt seine Frau ihm den Fernseher an. Was da läuft, ist aber nur laut und schrill, es interessiert ihn nicht.

Solche Szenen ereignen sich millionenfach in den Ehen älterer Semester. Während sie mit Schürze und Staubwedel den Haushalt recht geschäftig auf Trapp hält, fehlen ihm im Alter die Aufgaben und es droht – obwohl man miteinander auf engem Raum lebt – innere Vereinsamung. Wobei: Es bräuchte nur ein wenig grundsätzlicher liebevoller Zuwendung der anderen Mitmenschen, um jene Vereinsamung zu stoppen. Eine versöhnliche Botschaft, die das 2010 im spanischen Baskenland von Garbiñe Insausti und José Dault gegründete Kulunka Teatro mit seinem Maskenspiel „Solitudes“ meisterhaft auf die Bühne bringt. Das Ensemble ist momentan auf Tournee und gastierte am Mittwochabend in der Kulturhalle Remchingen vor begeistertem Publikum.

Beeindruckt war man offenkundig, dass sich das Stück einerseits des depressiven Themas annimmt und andererseits viel Humor sichtbar macht. Wenn eine summende Fliege in der Stube erst nervig stört und gejagt wird, später aber zum erfüllenden Alltagserlebnis wird, ist das komisch und rührend zugleich. In „Solitudes“ wird nicht gesprochen. Die Darsteller tragen Masken. Manchmal mit Musik und Geräuschen untermalt, erzählen nur Körperhaltungen, Bewegungen und Gesten die Geschichte. Eine abweisende Hand macht klar, dass man einander böse ist. Wird gewinkt, ist alles wieder gut. Die Bühnensprache des Kulunka Teatro ist sehr klar und in den Szenen immer passgenau getaktet, so dass es nie Längen in der Story gibt.

Die Handlung nämlich hat es in sich. Immer wenn die Pendeluhr ihren Zwölf-Uhr-Mittag schlägt, spielt das alte Ehepaar Karten. Mit schwungvollen Armen werden die Stiche auf den Tisch geworfen. Wer gewinnt, jubelt mit geballten Fäusten. Wer verliert, lässt den Kopf hängen. Das Kartenspiel ist der tägliche Höhepunkt des alten Mannes, der ihn glücklich mit seiner Frau zusammenbringt. Die jedoch verunglückt dann bei einem absurden Haushaltsunfall tödlich, so dass der alte Mann allein zurückbleibt und nun – letzten Endes vergebens – nach neuen Partnerinnen und Partnern fürs Kartenspiel sucht. Weder sein vermeintlich vielbeschäftigter Sohn findet dafür Zeit und Zuneigung, noch seine jugendliche Enkeltochter, die ständig am Handy hängt und lieber fernsieht, als mit Opa Karten zu klopfen.

Schließlich versucht der alte Mann sein Glück bei anderen, die alle auf ihre Art selbst auch vereinsamt sind. Etwa der Drogenjunkie oder die Prostituierte, die gegen Geld keine Liebesdienste leisten, sondern Karten spielen soll. Die großen, knuffigen Charaktermasken des Kulunka Teatro geben der Szene liebenswürdige Herzlichkeit, so dass das erblühte kleine Glück des alten Mannes glaubhaft rüberkommt. Allerdings funkt hier der erzürnte Sohn dazwischen und es kommt zum Familienzerwürfnis, bis der alte Mann schließlich – die Pendeluhr hängt schief an der Wand – vereinsamt stirbt. Hier setzt das Maskenspiel auf die läuternde Wirkung des Theaters, es mit den eigenen Angehörigen nicht so weit kommen zu lassen. Beim Schlussapplaus, wenn die Masken fallen, staunt man nicht schlecht, dass mit den beiden Theatergründern und Edu Cárcamo lediglich drei Darsteller das gesamte Personal der Handlung bestritten haben. Großartige Bühnenkunst!

Autor: Sven Scherz-Schade