Gemeinden der Region
Bad Wildbad -  29.08.2023
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Letzter Ausweg Sozialkaufhaus: Günstige Lebensmittel gibt es in Neuenbürg und Calmbach für Bedürftige

Die PZ-Aktion „Menschen in Not“ unterstützt Läden in Calmbach und Neuenbürg

Calmbach Tafelladen Haus der Diakonie
Im Calmbacher Sozialkaufhaus „Kauf und Rat“ geht es zu wie im Bienenstock. Der Bedarf an günstigen Lebensmitteln ist groß. Foto: Meyer

Bad Wildbad-Calmbach/Neuenbürg. Die Einkaufstasche von Christine Schmidt ist gut gefüllt. Ein paar Paprika, zwei süße Stückle in einer Plastikhülle mit Ablaufdatum in zwei Tagen. „Bis dahin hab ich die gegessen“, sagt die Rentnerin und lacht. Ein Salat ist immer dabei, denn den macht sie sich fast jeden Tag. „Der kostet mich gerade mal 20 Cent“, freut sie sich. Ganz oben drauf in der Tasche liegt ein kleiner Blumenstrauß. Den will die Witwe auf das Grab ihres Mannes stellen. Wenn es gerade Blumen gibt, nimmt sie ein Mal die Woche welche für den Friedhof mit. Acht Euro zahlt Christine Schmidt an der Kasse des Sozialkaufhauses „Kauf und Rat“ in der Calmbacher Häberlenstraße für ihren gesamten Einkauf.

„Ich habe eine geringe Rente und bin schlecht zu Fuß“, erklärt sie. Der tafelähnliche Laden, der vom diakonischen Sozialunternehmen Erlacher Höhe betrieben wird, liegt ganz in der Nähe ihrer Wohnung und ist für die Rentnerin gut zu erreichen. „Ich bin sehr froh, dass es den Laden gibt und die Mitarbeiterinnen sind immer so freundlich. Ich hoffe, dass das Angebot noch lange bestehen bleibt“, schwärmt die Seniorin.

Dankbar für die günstigen Lebensmittel, die von Supermärkten aus der Region abgegeben werden, ist auch der junge Familienvater aus der Ukraine, der mit seiner jüngsten Tochter am Obststand steht. „Heute gibt es bei uns vegetarisches Essen“, erzählt er mit Blick auf das wechselnde Angebot.

Andreas Reichstein, Abteilungsleiter bei der Erlacher Höhe Calw-Nagold, hakt ein: „Wir sind kein Vollversorger. Wer hierher kommt, darf nicht mit einem Speiseplan einkaufen gehen.“

Dennoch sammeln sich in den Auslagen genug frische Lebensmittel, mit denen sich ein vollwertiges Essen zubereiten lässt. Darüber sind Reichstein und seine Kollegin Kathrin Frenzel auch froh.

25 Supermärkte und Bäckereien aus der Region stellen den beiden von der Erlacher Höhe betriebenen Sozialkaufhäusern in Neuenbürg (Unterwässerweg) und Calmbach aussortierte Lebensmittel zur Verfügung und sorgen so für gefüllte Einkaufstaschen bei denjenigen, bei denen das Geld knapp ist und die sich einen Einkauf im Supermarkt kaum leisten können. Und das werden immer mehr. Reichstein schätzt, dass in beiden Häusern über 70 Prozent mehr Kunden kommen, als vor dem Ukraine-Krieg. Noch reicht das Angebot für alle. Niemand muss eine Berechtigungskarte vorzeigen, jeder darf seinen Lebensmittelbedarf decken. Das liegt auch daran, dass die PZ-Hilfsaktion „Menschen in Not“ (MiN) die beiden Sozialkaufhäuser regelmäßig mit 5000 Euro im Monat unterstützt.

„Damit können wir unser Angebot breiter machen“, freut sich Reichstein. Mit dem Geld würden dauerhaltbare Lebensmittel wie Nudeln, Reis oder auch Salz zugekauft, die von den Supermärkten wegen der langen Haltbarkeit selten abgegeben würden. Eier, Butter, Obst und Gemüse seien die Renner in den Regalen. Diese Lebensmittel werden an jedem der drei Öffnungstage in der Woche frisch angeliefert.

Ein eigener Fahrdienst der Erlacher Höhe klappert die Supermärkte ab und bringt die Lebensmittel. Frenzel achtet darauf, dass nicht gehortet wird. Zwiebeln, Zucker, Kartoffeln und Mehl seien sehr begehrt und würden den Menschen darum zugeteilt.

16 ehrenamtliche Helfer kümmern sich an den Öffnungstagen in Calmbach um die rund 40 Kunden, zehn Mitarbeiter sind es in Neuenbürg. Dort werden noch dringend Ehrenamtliche gesucht, so Frenzel. Außerdem gibt es noch Ein-Euro-Jobber und von der Agentur für Arbeit geförderte Arbeitskräfte.

Einige der ehrenamtlichen Helfer sind selbst Kunden im Sozialkaufhaus, so wie Waafa Asálieh. Die Syrerin hilft gerne und nutzt die Zeit dort, um Deutsch zu lernen, wie sie stolz erzählt.

Die Abgabe von Lebensmitteln zu günstigen Preisen an Bedürftige ist dringend notwendig, wie an diesem Nachmittag im Calmbacher Sozialkaufhaus deutlich wird. Die Kunden geben sich die Türklinke in die Hand. Es geht zu, wie im Bienenstock.

Und dennoch sagt Reichstein am Ende einen Satz, der nachdenklich macht: „Es ist nicht schön, dass Menschen auf die Angebote angewiesen sind. Da läuft etwas auseinander in unserer Gesellschaft.“

Autor: nic