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Keltern -  17.01.2020
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Löste ein unbedachter Whatsapp-Chat den SEK-Einsatz aus? Familie steht nach Razzia wegen Kriegswaffen unter Schock

Keltern-Ellmendingen/Pforzheim. Es ist ein ganz normaler Morgen bei einer Familie in Ellmendingen. Die Uhr zeigt kurz nach sechs, der Vater ist im Bad, macht sich für die Arbeit fertig. Seine Frau und die drei Kinder schlafen noch. Dann ein Geräusch an der Haustür. Wahrscheinlich der Zeitungsbote, denkt sich der Mann. Doch dann hört er es wieder. Er geht zur Tür. „Polizei, treten Sie zurück“, habe es von außen gebrüllt. Dann hätten Beamte auch schon die Tür eingerammt und die Wohnung gestürmt. „Überfallmäßig“, sagt seine Frau später. Fündig werden die Polizisten nicht - und Stunden wird klar: der Einsatz wurde wohl lediglich durch einen unbedachten Whatsapp-Chat ausgelöst.

Die Spezialkräfte sind angefordert worden, weil Ermittler einem Anfangsverdacht auf einen Verstoß gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz nachgehen. So etwas nimmt die Polizei sehr ernst. Gestern wurden insgesamt vier Wohnungen durchsucht – neben derjenigen der Familie auch drei in Pforzheim, teilen Staatsanwaltschaft und Polizei am Nachmittag mit.

Auf Nachfrage der PZ bestätigt der Sprecher der Staatsanwaltschaft, Bernhard Ebinger, dass jedoch keine Kriegswaffen gefunden wurden und es keine Verhaftungen gegeben habe. Näheres zum Stand der Ermittlungen könne man derzeit noch nicht sagen, so Ebinger. Für den Kelterner Familienvater ist alles ein Missverständnis – ausgelöst durch einen unbedachten WhatsApp-Chat mit einem Bekannten. Auf den Chat sei die Polizei im Zuge anderer Untersuchungen aufmerksam gemacht worden, die nichts mit ihm zu tun hätten. Doch es dauert, bis er diesen Hintergrund versteht.

Alles durchsucht

Die Einsatzkräfte überwältigen den Familienvater, zerren ihn aus dem Haus, zwingen ihn auf den Boden und legen ihm Handschellen an. Alles geht zu schnell, um zu begreifen. „Sie waren vermummt. Man hat nur die Augen durch die Schlitze gesehen“, sagt die Mutter. Helme, schusssichere Westen und Gewehre. „Ich habe gefragt, was los ist, sie haben es mir nicht gesagt“, erinnert sie sich: „Sie sind unsanft gewesen. Nicht körperlich, aber sie haben mich angeschrien, ich soll mich hinsetzen und gefragt, ob ich meinen würde, das wäre hier eine Zirkusveranstaltung.“ Eineinhalb Stunden lang hätten die Beamten das Haus durchsucht, jede Schublade und sogar den Kühlschrank. Und alles wieder an seinen Platz gelegt. Auch ein Spürhund ist im Einsatz. Was die Familie nicht weiß: Zeitgleich finden weitere Wohnungsdurchsuchungen in Pforzheim statt. Eine davon gehöre einem Bekannten von ihm, die anderen beiden Männern, die auch mit diesem in Verbindung stünden. Die Beamten finden nichts. Dennoch nehmen sie den Kelterner zum Verhör mit aufs Revier nach Pforzheim.

Die Polizei befragt ihn zu einem Waffenkauf. Erst als die Beamten ihm einen WhatsApp-Chatverlauf zwischen ihm und seinem Bekannten aus dem Februar 2019 vorlegten, sei ihm gedämmert, worum es gehe. Vor Jahren habe sein Bekannter wohl einen Cousin in der Schweiz besucht. Dieser sei dort beim Militär und habe seine Waffe mit zu Hause gehabt. Mit dieser habe sich sein Bekannter fotografieren lassen. Er habe das Foto im vergangenen Jahr gesehen, daraufhin habe sich eine kurze Unterhaltung entsponnen. „Es war alles nur ein Scherz“, beteuert er. Ein paar kurze Nachrichten über den fiktiven Verkauf der Waffe, Munition und Preis. Ein paar Sätze, ein paar unbedachte Sekunden. „Das war wirklich blöd, wenn man sich das jetzt überlegt“, sagt er. Aber er habe ja nicht damit gerechnet, dass jemand die Nachrichten lesen und deren Inhalt ernst nehmen könnte.

Angst um guten Ruf

Laut dem Ellmendinger habe die Polizei am Donnerstag schließlich Kontakt in die Schweiz aufgenommen, um die Geschichte zu verifizieren. Die Aussagen aller Beteiligter hätten sich gedeckt. Schnell habe er wieder gehen dürfen. Die Eltern zeigen Verständnis dafür, dass die Polizei einem solchen Verdacht nachgehen muss, fürchten nun aber um den Ruf der Familie. Denn der Einsatz sei im Ort nicht unbemerkt geblieben. Der Vater sorgt sich, dass Gerüchte auf seine Frau oder seine Kinder zurückfallen könnten. „Mit so etwas habe ich wirklich nichts zu tun“, sagt er, als er am Abend am heimischen Esstisch sitzt. Nach einem Tag wie aus einem bösen Traum.

Autor: Lisa Belle und Alexander Heilemann