„Lohnt sich nicht mehr“: Remchinger Spiel- und Schreibwarenladen hat seine Pforten geschlossen
Remchingen-Nöttingen. Jahrzehntelang schlugen Kinderherzen höher, wenn sie ins kleine Ladengeschäft an der Karlsbader Straße in Nöttingen stürmten. Generationen von Schülern freuten sich, den passenden Umschlag, Füllhalter oder Farbkasten zu finden. Und unzählige Erwachsene waren verblüfft, auf kurzen Wegen das zu finden, wonach sie in der Stadt lange suchten. Doch kurz vor Weihnachten hat Familie Siebler zum letzten Mal den Schlüssel im Schloss umgedreht und das derzeit letzte Remchinger Schreib- und Spielwarengeschäft in Nöttingen endgültig geschlossen.
Bis zum 23. Dezember gab es am Ende noch einen Räumungsverkauf zum halben Preis.
„Wir hätten gerne noch ein paar Jahre weiter gemacht, aber es hat sich einfach nicht mehr gelohnt“, zog Carmen Siebler-Frey mit ihrer Schwägerin Andrea Siebler eine klare Bilanz der jüngsten Zeit. Zwar fanden viele nach der Apotheke, dem Goldschmied und den beiden Banken den Verlust eines weiteren Ladengeschäfts an der Ortsdurchfahrt schade: Doch es sind gerade wirtschaftliche Gründe, die die beiden zur vorzeitigen Schließung bewegten: „Es gab zuletzt Tage, da haben wir geschaut, ob die Türe wirklich aufgeschlossen ist. Früher kamen die Kunden rein zum Stöbern, heutzutage fragen sie gezielt nach einem 6 B-Bleistift oder einer Grußkarte.“ Oder sie hätten eine aufgeräumte Wohnung, in der sie nichts rumstehen haben wollten: „Da macht man mehr Verlust als Gewinn.“
Vorbei seien die goldenen Zeiten der Spiel- und Schreibwarenhändler vor Ort und auch in der Stadt, vieles habe sich verändert in der Branche: Viele würden im Internet bestellen oder lieber Geld schenken anstatt Geschenken, in der Schule und im Büro werde vieles digitaler, Hefte seien ebenso wie Einbände aus Umweltgründen in Verruf geraten und statt einer Karte schreibe man eine WhatsApp-Nachricht. Selbst den Lottoschein fülle die jüngere Generation online aus. Gleichzeitig würden die Hürden für die kleinen Händler immer höher. So mussten die beiden oft im Großpack bestellen und nach Schließung der Banken ihre Tageseinnahmen kilometerweit transportieren. Glücklicherweise gebe es in Nöttingen noch die Metzger, den Bäcker und die Hofläden.
Umso fröhlicher blicken die Schwägerinnen zurück auf die vergangenen Jahre: 1979 haben sie die damalige Schuhmacherei ihres Vaters und Schwiegervaters Heinz Siebler übernommen. Die Schuhe wurden immer weniger, stattdessen hielten trendige Spielwaren, ein breites Schreibwarensortiment und passende Dekoartikel Einzug. Die vielfältigen und abwechslungsreichen Aufgaben im Familiengeschäft machten den beiden ebenso viel Freude wie der Kundenkontakt: „Mit der Zeit lernt man den Geschmack der Kunden kennen und berücksichtigt das bei den Bestellungen am Großhandel“, freut sich Andrea Siebler über viele Stammkunden, von denen der Abschied besonders schwerfalle. „Manche kamen auch einfach rein und suchten das Gespräch.“
Neben rollenweise Papier zum Einpacken von Kuchen seien Mietverträge von den Remchinger Kunden überraschend häufig gefragt gewesen. Während Andrea Siebler auf einen Raubüberfall im Februar 2020 definitiv hätte verzichten können, erinnert sie sich immer wieder gerne, wie ein Junge an die Ladentheke kam und mit breitem Grinsen feststellte: „Du hast einen super Laden!“