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Remchingen -  02.04.2024
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Nach Tod von 16-Jährigem in Remchingen: Wie steht es um Sicherheit und Prävention am Bahngleis?

Remchingen/Pforzheim. Am Bahnhof in Remchingen deutet am Dienstagvormittag nichts darauf hin, welche dramatischen Szenen sich hier in der Nacht abgespielt haben. Wenige Fahrgäste sind auf den Gleisen und bei der Bushaltestelle unterwegs, im Döner-Imbiss bereitet man sich auf das Mittagsgeschäft vor, auch an der Tankstelle läuft alles normal. Auf der anderen Seite des Bahnhofs, beim FC Germania Singen und dem Gymnasium ist wegen der Schulferien ebenfalls wenig los. Von dem tödlichen Unfall, bei dem ein 16-Jähriger aus dem Raum Pforzheim ums Leben kam, haben die meisten Menschen noch gar nichts mitbekommen. Es wurden auch noch keine Blumen oder Lichter aufgestellt, die an das Geschehen erinnern.

In der Nacht hatten noch zahlreiche Einsatzkräfte versucht, dem Jugendlichen zu helfen. Doch der Stromschlag aus der Oberleitung, 65 Mal stärker als bei einer Haushaltssteckdose, war zu gewaltig. Rettungsdienst, Schutz- und Kriminalpolizei waren am Bahnhof, die Bundespolizei, Notfallmanager der Deutschen Bahn und Seelsorger. Außerdem 17 Feuerwehrleute aus Remchingen mit drei Fahrzeugen. Auch Kreisbrandmeister Carsten Sorg beobachtete den Einsatz. Remchingens Kommandant Florian Becker berichtet, die Wehr habe das Gebiet ausgeleuchtet, damit der Rettungsdienst optimal arbeiten konnte. „Es kommt leider immer wieder vor, dass Personen auf Waggons steigen oder auch die Gleise überqueren“, beklagt er. Dabei warnen Schilder vor den tödlichen Gefahren, auch die Waggons sind mit Hinweisen versehen.

Noch ist nicht bekannt, warum der junge Mann am Ostermontag kurz vor 23.30 Uhr auf den Waggon geklettert ist, so Polizeisprecher Benjamin Koch. Nach bisherigen Erkenntnissen habe ihn ein ebenfalls 16-jähriger Begleiter abhalten wollen, als ein Lichtbogen aus der Oberleitung Strom mit 15000 Volt Spannung durch den Jugendlichen auf dem Waggon fließen ließ. Die Polizei appelliert nach dem tödlichen Unglück mit Nachdruck, dass man eine Oberleitung nicht berühren müsse, um vom Strom erfasst zu werden. Lebensgefährlich sei es schon, wenn man ihr näher als 1,50 Meter komme. Über solche Gefahren klärt die Bundespolizei junge Leute aller Altersgruppen regelmäßig auf. Auch in Remchingen, wie Manuel Jung sagt, Pressesprecher der Bundespolizeiinspektion Karlsruhe. Dort seien schließlich Schulen nahe an der Schienenstrecke. Das Gymnasium liegt unmittelbar gegenüber den Abstellgleisen, auf denen Güterwaggons immer wieder abgestellt werden. „Wir machen das jährlich, damit idealerweise jede Schülerin und jeder Schüler über die Gefahren an den Gleisen und auf Waggons aufgeklärt werden“, sagt er. Das ist ganz intensiv auch passiert, als 2010 ein 18-Jähriger aus der Gemeinde nach einer Feier ebenfalls der Leitung zu nah gekommen war. Der Fall hatte Remchingen monatelang aufgewühlt.

Trotz aller Warnungen: Bundesweit verzeichnet die Bundespolizei fast monatlich Bahnstromunfälle. Den einen Grund gebe es nicht, sagt Jung: mal seien es Kurzschlusshandlungen nach Partys, mal Mutproben, bei denen junge Leute ihren Freunden etwas beweisen wollten. Immer mal wieder gehe es auch darum, die Aktionen zu filmen oder zu fotografieren und in Social Media hochzuladen. Die Region musste vor einigen Jahren eine regelrechte schwarze Serie von Unglücken verkraften. Im August 2009 starb ein Pforzheimer, der beim Überqueren der Gleise über einen Waggon steigen wollte. Im Juni 2010 folgte der 18-Jährige in Remchingen, im Mai 2012 überlebte ein damals 28-Jähriger am Pforzheimer Hauptbahnhof mit knapper Not, im Februar 2014 hatte ein 22-Jähriger dort nicht so viel Glück und starb am Stromschlag auf einem Waggon. Immer wieder flammen dann Diskussionen über Sicherheitsmaßnahmen auf. In Remchingen war das 2010 so. Damals diskutierte der Gemeinderat einen Zaun, um es wenigstens schwerer zu machen, auf die Gleise zu gelangen. Das sei auf dem Gelände der Deutschen Bahn aus Platzgründen nicht möglich gewesen, erinnert sich Antje Hill, die damals schon im Gemeinderat war. Ein Bahnsprecher konnte auf Anfrage der PZ zur damaligen Debatte noch keine Angaben machen. Grundsätzlich setze man aber vor allem auf deutliche Warnhinweise, wie sie überall auch am Bahnhof Wilferdingen-Singen zu finden sind. Und auf Prävention mit der Bundespolizei.

„Wir haben ein Streckennetz von 39000 Kilometern“, so der Sprecher. „Das kann man ohnehin nicht einzäunen.“

Auch im Remchinger Rathaus schaut man sich in den nächsten Tagen die über 13 Jahre alte Sicherheitsdiskussion noch einmal an, wie Bürgermeisterin Julia Wieland sagt. Die Verwaltung habe die schlimme Nachricht schockiert und leide mit den Familien des Verstorbenen und seines verletzten Begleiters.

Bis 2 Uhr am Dienstagmorgen dauerte der Einsatz der Feuerwehr im Bahnhof. Die Beteiligten haben laut dem Kommandanten die Möglichkeit, sich im Nachgang darüber mit Fachleuten auszutauschen. „Es gibt immer wieder belastende Einsätze, bei denen so etwas nötig ist“, so Becker.

Fahrgäste stranden in Pforzheim– fast ohne Infos

Für rund 50 Menschen war es eine lange Nacht auf dem Hauptbahnhof Pforzheim – mit nur bruchstückhaften Informationen über die Gründe. „Dabei hat bei einem so tragischen Unglück wie in Remchingen, für das die Oberleitung abgeschaltet wird doch Verständnis“, sagt ein Reisender der PZ. Lange sei man aber vor allem Richtung Stuttgart im Ungewissen geblieben, ob und wann ein Zug fahre. Die Rede sei dann von Unbekannten gewesen, die in Vaihingen/Enz eine Betonplatte auf Gleise geworfen und einen Zug beschädigt hätten. Züge seien angezeigt worden – und dann plötzlich verschwunden. Gleise ohne Ankündigung verlegt. Nach Mitternacht brauchten viele Taxis, um weiterzukommen.

Autor: hei sab

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