"Nicht nachvollziehbar": Kreischefs aus Enzkreis und Calw sowie Bürgermeister kritisieren Pläne zu Notfallpraxen
Neuenbürg/Enzkreis/Kreis Calw. Die Kritik an den drohenden Schließungen weiterer Notfallpraxen flaut nicht ab. Auch bei der jüngsten Sitzung des Sozial- und Kulturausschusses des Kreistags kam das Thema auf. FDP-Landtagsabgeordneter Erik Schweickert ließ sich über die Planungen der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW) aus, die unter anderem den Standort in Neuenbürg dichtmachen will. Schweickert forderte vom Enzkreis deshalb, dass man hierzu Stellung beziehen möge und „klar formuliert, dass man das nicht so hinnimmt“.
Nicht nur der Enzkreis vertreten durch von Landrat Bastian Rosenau, auch 19 weitere Landkreise haben das nun in einem Schreiben an Baden-Württembergs Gesundheitsminister Manfred Lucha (Grüne) getan, und das Vorhaben der KVBW kritisiert. Darin heißt es unter anderem, dass eine immer weitergehende und unkoordinierte Schwächung der ambulanten Notfallversorgung der falsche Weg sei und nicht hingenommen werden könne. Dem schließt sich der Sozial- und Kulturausschuss laut einer Mitteilung des Landratsamts Enzkreises an, der sich insbesondere „gegen die erneute Abwälzung von Kosten anderer Träger wehrt, die ihrer eigenen Aufgaben nicht nachkommen und damit teilweise ihre Kosten den ohnehin schon finanziell belasteten kommunalen Haushalten aufbürden“.
Große Sorge
Wie berichtet, hatten sich auch 18 Bürgermeister aus betroffenen Städten und Gemeinden – darunter auch Neuenbürgs Rathaus-Chef Fabian Bader – an Minister Lucha gewandt, „in großer Sorge um die künftige Sicherstellung der ärztlichen Versorgung der Bevölkerung“. In ihrem Schreiben fordern die Bürgermeister eine flächige Ausbreitung der Notfallpraxen, da es sonst zu unzumutbaren Fahrwegen führe.
Die KVBW will das Gegenteil: Den Planungen zufolge soll es ungeachtet der Einwohnerdichte künftig pro Landkreis nur noch ein bis maximal zwei Praxen geben. Würden die Schließungspläne umgesetzt, werde es Notfallpraxen geben, die für 400 000 und mehr Menschen zuständig sind, so das Schreiben der Landräte. Die Reduzierung wird von der KVBW unter anderem damit begründet, dass 95 Prozent der Bevölkerung eine Praxis in 30 Fahrminuten erreichen kann. Das sei laut den Verwaltungschefs aber nur nachweisbar, wenn der Weg mit dem Auto und ohne Verkehrsbeeinträchtigung zurückgelegt werde. ÖPNV und Menschen ohne Fahrzeug würden dabei vergessen.
Doch selbst mit fahrbarem Untersatz könnte die Erreichbarkeit innerhalb einer halben Stunde schwierig werden. Erik Schweickert brachte im Ausschuss als Beispiel, dass man schon einen Lamborghini bräuchte, um in 30 Minuten von Dennach bis zum Siloah-Klinikum in Pforzheim zu fahren. Darum erwartet man in der RKH Klinik Neuenbürg, dass mit Schließung der Notfallpraxis die Patienten in die Notaufnahme des Krankenhauses gehen – und nicht nach Pforzheim.
„Die KV ist sich nicht bewusst, was das für Auswirkungen auf unser Gesundheitssystem hat“, ärgert sich Bürgermeister Bader.
Neuenbürg sei ein sehr zentraler Anlaufpunkt. Man habe über Jahre eine gut funktionierende Struktur aufgebaut, die nun zerstört werden soll. „Das ist nicht nachvollziehbar und auch nicht vermittelbar“, betont Bader. „Das bedeutet klar eine Benachteiligung der Menschen im ländlichen Raum", sagt auch Klaus Mack, CDU-Bundestagsabgeordneter aus Bad Wildbad und ehemaliger Bürgermeister der Kurstadt, über das Vorhaben der KVBW.
Lucha in Verantwortung
Und was sagt Minister Lucha über die Schließungspläne? „Die Rechtsaufsicht kann nicht einfach so etwas stoppen“, sagt er einer Pressemitteilung zufolge, in der er sämtliche Aufforderungen zum Einschreiten zurückgewiesen hat (die PZ berichtete). Bader hingegen meint, dass Lucha in der Verantwortung sei und tätig werden könne. „Ich glaube durch uns 18 Bürgermeister und durch das Schreiben der Landkreise werden wir politisches Gehör bekommen“, sagt er. Letztendlich werde von Seite der Politiker Druck ausgeübt, dass die Planungen überdacht werden. Ob ihre Bemühungen am Ende Erfolg haben, wird sich voraussichtlich am Montag zeigen. Für diesen Tag hat die KVBW eine Pressekonferenz angekündigt – zur Schließung der Notfallpraxen.
Neuenbürger Klinik geht von größerer Belastung in der Notaufnahme aus
Die Ärztinnen und Ärzte der Krankenhäuser fürchten durch die geplante Schließung weiterer Notfallpraxen im Land eine noch stärkere Belastung der Notaufnahmen in Baden-Württemberg. In einem Brief an Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) und Gesundheitsminister Manne Lucha (Grüne) warnen die Landesvorsitzenden der Ärztegewerkschaft Marburger Bund vor den Auswirkungen der geplanten Schließungen auf die Kliniken. „Werden die Schließungspläne der Kassenärztlichen Vereinigung tatsächlich so umgesetzt, dann ist zu erwarten, dass das Patientenaufkommen in den Notaufnahmen der Kliniken erneut deutlich zunehmen wird“, heißt es in dem Schreiben.
Als Grund führen die Gewerkschaftschefs an, dass zahlreiche Notfallpraxen direkt in Krankenhäusern untergebracht seien. Das hätte zur Folge,, dass die Patientinnen und Patienten weiterhin den bekannten Weg ins Krankenhaus gehen würden, selbst wenn es dort dann keine Notfallpraxis mehr gebe.
Laut Alexander Tsongas, Pressesprecher der RKH-Kliniken, habe bereits die zurückliegende starke Reduzierung der Dienstzeiten der KV-Notfallpraxis in Mühlacker die Auswirkung, dass seither deutlich mehr Patienten die Notaufnahme der Klinik aufsuchten, sich damit die Wartezeiten erhöht hätten und die Belastung für die Klinik durch ambulante Fälle signifikant gestiegen sei. Es sei daher zu bezweifeln, dass die Patienten aufgrund der drohenden Schließung der Notfallpraxis im RKH Krankenhaus Neuenbürg automatisch die Notfallpraxis in Pforzheim aufsuchen werden.
„Vielmehr müssen wir annehmen, dass stattdessen ein hoher Anteil der ambulanten Notfallpatienten durch unsere Notfallaufnahme im RKH Krankenhaus Neuenbürg versorgt werden wird“, erklärt Tsongas.
Dies werde sicher nochmals zunehmen durch die gleichzeitig angekündigte Schließung der Notfallpraxis in Calw. Damit sei zu erwarten, dass das gesamte obere Enztal sowie ein Teil aus Calw und Teilorten sich auf Neuenbürg fokussiere.
