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Pforzheim -  20.03.2020
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PZ-Serie „Helden der Corona-Krise“: An der Supermarkt-Kasse am Limit

Pforzheim. Während der Einzelhandel schließt, arbeiten die Supermärkte in der Corona-Krise auf Hochtouren. Mitarbeiter kommen dabei an ihre körperliche und seelische Grenze dieser Tage – insbesondere Kassierer. Ihnen dankte Bundeskanzlerin Angela Merkel in ihrer Fernsehansprache am Mittwoch: „Wer in diesen Tagen an einer Supermarktkasse sitzt oder Regale auffüllt, der macht einen der schwersten Jobs, die es zur Zeit gibt.“ Sie würden buchstäblich den Laden am Laufen halte. Eine dieser Kassiererinnen ist Katrin Kögler aus Niefern, angestellt beim City-Supermarkt Pischzan in Pforzheim – kurze braune Haare, Brille, akkurat gepflegte Nägel. Aktuell sind sie unter Sicherheitshandschuhen versteckt.

Rechtfertigungsdruck: Warum sind die Regale leer?

Während Mittags üblich nur ein paar Erledigungen getätigt wurden, kaufen Menschen aktuell alles ein, was sie kriegen können. Zeit zum Durchatmen gebe es kaum. „Es ist wirklich schlimm“, sagt Kögler. Denn: Mitarbeiter stehen ständig unter dem Rechtfertigungsdruck: Warum sind die Regale leer? Wann kommt die nächste Lieferung? Gerade Lebensmittel mit längerem Mindesthaltbarkeitsdatum – also genau die, die gerade massenhaft gekauft werden – werden nur alle zwei oder drei Tage geliefert. „Die Menschen sind für die Situation verständnislos. Jeder deckt sich nur selbst ein und denkt dabei nicht an die anderen“, klagt Kögler.

Sie selbst kaufe ganz normal ein. Für Hamsterkäufer findet sie deshalb klare Worte: „Nicht jeder kann es sich leisten, Lebensmittel zu horten. Man muss doch auch an diejenigen denken, die nicht das Geld haben ihren normalen Einkauf zu bestreiten. Was machen diese Leute, wenn nichts da ist und einkaufen gehen wollen?“ Diskussionen an der Kasse nehmen nicht ab, obwohl in den Medien ausreichend darüber informiert werde, dass es beispielsweise Begrenzungen gebe. Manche Kunden würden sogar alle Produkte aufs Band werfen, wenn sie nicht das bekommen, was sie wollen und gehen. „Dabei geben wir täglich unser Bestes.“

Aggressivität statt Solidarität

Und dennoch ist das nicht genug: Vergangene Woche wurde Köglers Kollegin sogar zum Weinen gebracht. Ein Kunde hatte sie als asozial beschimpft, als sie ihn darauf aufmerksam machte, dass es beim Verkauf von Klopapier eine Begrenzung eingeführt wurde. Solidarität? Fehlanzeige. „Selbst Stammkunden, von denen man es nie gedacht hätte, sind frech geworden“, sagt Kögler und schüttelt den Kopf. „Wir sind der Blitzableiter für jeden, der hier reinkommt.“ Stärke gibt der Kassiererin der Zusammenhalt im Kollektiv: „Wir halten zusammen. Wenn es dem einen mal nicht gut geht, sagt man ein paar tröstende Worte.“ Eine Umarmung gebe es aktuell nicht, „dafür eine herzliche Anerkennung mit dem Ellbogen“, sagt Kögler und lacht. 

Corona verschärft den Umgangston

Die Krise hat den Ton verschärft - zur Überraschung der 50-Jährigen. Sie arbeitet seit etwa vier Jahren im City-Supermarkt. Den Beruf übt sie rund 25 Jahre aus. Eine Situation wie heute hat Kögler aber noch nie erlebt. „Selbst unter der ersten Sars-Epidemie oder der Schweinegrippe hatten wir nicht so einen Notstand erlebt“, berichtet Kögler. Die neuen Restriktionen seitens des Gesetzgebers findet Kögler deshalb gut. „Nur müssten sich die Menschen daran halten.“

Nicht alles ist schlecht in dieser Ausnahmesituation. Es gibt aber auch die positiven Erfahrungen: „Eine Kundin sagte vor paar Tagen zu uns: ‚Mädels, super, was ihr hier leistet!“. Und am Mittwoch gab es für die Belegschaft sogar Pralinen als Dankeschön. Solche Gesten bringen Kögler und ihre Kollegen zum Strahlen - und sind doch die Seltenheit. „Meistens sind die Kunden unzufrieden, beschweren sich oder schimpfen.“

Das Virus spukt ständig im Kopf herum

Und was macht das mit einem selbst? „Man wird nicht mehr als Mensch gesehen, sondern man hat nur noch zu funktionieren“, stellt die 50-Jährige mit müden Augen fest. Die Vorstellung, dass Kassierer sich reihenweise krank melden, scheint undenkbar. Auch sie machen sich um ihre Familie und Freunde Sorgen - „Anders als die Kunden, die manchmal mit Panik in den Supermarkt kommen, müssen wir Kassiererinnen oder Verkäuferinnen gute Laune behalten, aber innerlich sieht es auch bei uns nicht anders aus“.

Köglers Mutter ist 80 und lebt in Thüringen und gehört zur Risikogruppe. Ihr Sohn arbeitet in der Gastronomie und lebt in der Schweiz, die Schwester arbeitet im Pflegedienst. Entspannung nach der Arbeit gebe es daher kaum. „Man hat es ständig im Kopf.“ Die Schlagzeilen in den Medien befeuern diese Situation. Auch um ihre eigene Gesundheit macht sich die Thüringerin Sorgen - der Kontakt mit den Kunden ist ständig da. Auch umgekehrt: „Was, wenn ich es habe und das Virus weiterreiche?“

Dabei könnten Kunden mit wenigen Worten viel erreichen: „Respekt zeigen, was wir hier leisten. Es wird ja niemand verhungern in Deutschland.“ Dass der Job unterbezahlt ist, komme erschwerend hinzu.

Wenn die Coronakrise vorbei ist, möchte Kögler in den Urlaub: „Einfach entspannen.“ Im Mai sollte es nach Ägypten gehen - doch das Land hat seine Grenzen dicht gemacht. Was aus der Reise wird, weiß sie noch nicht. Nur eins sei sicher: „Wir müssen jetzt unser Bestes geben.“

Autor: kal