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Enzkreis -  15.04.2020
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PZ-Serie „Helden der Corona-Krise“: Pflegedienst „Visit“ hält Kontakt zu psychisch Erkrankten

Pforzheim/Enzkreis. Manche hören Stimmen, manche haben panische Angst vor anderen Menschen - und für manche hat sich ein schwarzer Schleier über alles Liebenswerte gelegt. Schizophrenie, Phobien, Depressionen. Wer daran erkrankt, für den werden oft die einfachsten Hürden im Alltag unüberwindbar. In Pforzheim und Enzkreis springen dann die Helfer des psychosozialen Pflegedienstes „Visit“ ein - und der Name ist Programm, auch in Corona-Zeiten.

Sie führen Gespräche, kaufen ein und kümmern sich um den Haushalt bei denen, deren instabile Psyche oft zu passiver Handlungslosigkeit führt. Die Isolation in der Krise verstärkt oft die Symptome, wie die Geschäftsführerin des Pflegedienstes, Stefanie Lutz-Scheidt, weiß. Und sie befürchtet, dass viele psychische Erkrankungen erst nach der Krise auf uns zukommen.

„Sie sagte: Ich halte den Zustand in der Isolation nicht aus“, berichtet Lutz-Scheidt aus dem Gespräch mit einer jungen Frau aus dem Enzkreis. Zur Zeit hält sie den Kontakt zu ihren Klienten über das Telefon. Denn weil sie zu einer Risikogruppe gehört, ist Lutz-Scheidt selbst im Home-Office. Das vergangene Jahr war ihre Patientin stabil. Jetzt plagen sie wieder Selbstmordgedanken. „Sie hat mich ganz plötzlich am Wochenende angerufen“, so Lutz-Scheidt. Für die ausgebildete Krankenschwester mit einer sozialpsychiatrischen Zusatzausbildung gilt, die heikle Situation richtig einzuschätzen. „Wenn die Klientin in so einem Fall den Kontakt abbrechen würde, muss ich die Polizei zu ihr schicken“, erklärt Lutz-Scheidt. Die Sache ging gut aus. Drei bis vier Mal am Tag hat sie danach mit der jungen Frau telefoniert. Gemeinsam haben sie Strategien entwickelt, wie die Isolation überstanden werden kann.

Auf dem Dorf hilft die Familie

Nicht allen psychisch Erkrankten setzt der soziale Rückzug so stark zu. Manche scherzen auch über ihre Situation: „Die sagen dann: Ist ja witzig, das, was die ganze Zeit mein Problem war, soll ich jetzt sogar machen“, erzählt Lutz-Scheidt. Viele der Klienten hätten generell ein Problem mit menschlichem Kontakt. Ziel des Pflegedienstes ist es, gerade die Menschen irgendwie aus dem Haus rauszubekommen. Etwas, das sich jetzt durch Corona zum Ding der Unmöglichkeit entwickelt hat. Wichtig zu vermitteln sei vor allem ein geregelter Tagesablauf, weiß Lutz-Scheidt. Das heißt: Nicht den ganzen Tag im Bett liegenbleiben, sondern Frühstück machen, spazieren gehen, Sport treiben und telefonieren.

Dieser Rückhalt durch Verwandte sei wichtig. Auf dem Land ist er größer als in der Stadt, merkt Lutz-Scheidt. 30 Patienten betreut man im Enzkreis, 100 sind es in Pforzheim. „Auf dem Land versuchen viele Familien, das alleine zu stemmen“, sagt die Geschäftsführerin. In der Stadt hingegen würden die meisten Betroffenen allein leben.

Und um die kümmern sich die Mitarbeiter von „Visit“. Einige Klienten hätten aber Ängste vor einer Ansteckung durch die Mitarbeiter geäußert. Deshalb wurde in der Corona-Zeit mit den Betroffenen ein Ampelsystem für die Notwendigkeit der Unterstützung eingeführt. Grün: Besuche nur nach Bedarf, stattdessen ersetzen Telefonate die Gespräche vor Ort. Gelb: Einmal die Woche schaut jemand beim Betroffenen zuhause vorbei, auch um die Versorgung mit Medikamenten sicherzustellen. Rot: Regelmäßig wird vorbeigeschaut, da es sich um Leute handelt, die sonst schnell in einen hilflosen Zustand kommen.

Psychiater bitten um Hilfe

„Die Arbeit nimmt stark zu“, sagt Lutz-Scheidt. Das liege auch daran, dass die Werkstätten für Behinderte geschlossen seien. Außerdem kommen immer mehr Anfragen von Psychiatern, die ihre Patienten während der Corona-Krise beim Pflegedienst anmelden wollen. Ihre Patienten bräuchten jemanden, der schaut, ob alles in Ordnung ist. „Wir wissen nicht, was noch alles auf uns zukommt“, sagt Lutz-Scheidt. Aber in einem ist sie sich sicher: „Diese Krise wird Auswirkungen haben auf die ganze Bevölkerung, was Ängste und Sorgen angeht.“

Autor: heg