Schockierend, lustig, nachdenklich: So war Robin Alexanders Besuch im PZ-Autorenforum in Pforzheim
Pforzheim. Üblicherweise nimmt er auf den Talkshowsesseln der Republik Platz, am Mittwochabend tauscht er das Fernsehstudio gegen das PZ-Autorenforum: Journalist Robin Alexander hat sein neues Buch mitgebracht, das tiefe Einblicke ins Innenleben des bundespolitischen Betriebs gewährt. Es wird deutlich: Es menschelt ziemlich in Berlin.

Seit Robin Alexander das letzte Mal im PZ-Autorenforum war, ist viel passiert. Russland hat die Ukraine überfallen. Die Ampel hat sich selbst gesprengt. Und Friedrich Merz ist endlich da angekommen, wo er immer hin wollte: im Kanzleramt. Im Januar 2022 sprach der Journalist über den Machtverfall in der Union. Gut dreieinhalb Jahre später beherrscht ein Thema diesen Mittwochabend, das viel größer ist – und zugleich der Untertitel zu Alexanders neuestem Buch: „Letzte Chance: Der neue Kanzler und der Kampf um die Demokratie“.
Alexander (50) erzählt, wie ungeschickt sich Friedrich Merz in den Verhandlungen mit den Grünen für das Sondervermögen angestellt hat. Er erzählt, wie die Union Wolfgang Schäubles letzte Mahnung, im Wahlkampf nichts zu versprechen, was sie nach dem Haushaltsurteil des Verfassungsgerichts nicht halten könne, in den Wind schlug. Aber er erzählt auch, wie die Ampelregierung in der geheim tagenden „Bunkerrunde“ weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit Deutschlands Versorgungssicherheit nach Putins Überfall auf die Ukraine gesichert hat. Und mit Blick auf die zurückliegende „Krisendekade“ mit Corona-Pandemie und Ukrainekrieg, die Deutschland vergleichsweise gut gemeistert hat, sagt er lächelnd: „Das Gerede vom Staatsversagen ist falsch.“ Applaus.
Erzählen, nicht erklären
Der stellvertretende Chefredakteur Politik der „Welt“ weiß, was in parteiinternen Chatgruppen geschrieben steht, wo die Grünen-Fraktionschefin wandern war, als der designierte Kanzler sie erreichen wollte, wer wen wann angerufen hat. Woher er das alles so genau weiß? Das fragt auch eine Frau aus dem Publikum. Alexander sagt, sein Vorteil sei, dass er all diese Menschen, mit denen er für seine Bücher spricht, schon sehr lange kenne. Wenn er sich dann mit ihnen treffe, sei die Vereinbarung: Sie sollen nicht Dinge erklären, wie es Politikerinnen und Politiker häufig tun. Sondern erzählen, wie sie sie erlebt haben. Nach dem Bruch der Ampel hätten einige ein zweites Gespräch gewollt, weil sie „jetzt endlich richtig auspacken“ konnten – und jetzt, wo das Buch raus sei, hätten einige noch mal Gesprächsbedarf angemeldet. Es gibt also viel zu besprechen. Die Stimmung im ausverkauften PZ-Autorenforum an diesem Abend ist schwer zu greifen. Das Publikum ist aufmerksam, interessiert. Es stöhnt und lacht an den richtigen Stellen. Aber es regt sich zwischendurch auch Unbehagen über das, was der Journalist da so auspackt. Köpfe werden geschüttelt.
„Das Menschliche und allzu Menschliche spielt eine große Rolle.“ Robin Alexander über die Bundespolitik
Zum Beispiel, als Alexander von einem völlig aus dem Ruder gelaufenen Koalitionsausschuss der Ampel berichtet, bei dem vor allem FDP-Chef Christian Lindner deutlich zu tief ins Glas geschaut haben soll. Nach einer kurzen Schlafpause habe er dann einen seiner Sicherheitsleute des Bundeskriminalamts losgeschickt, um Essen zu besorgen. Und so wurden frühmorgens im Kanzleramt schließlich McDonald’s-Burger verspeist. In dieser Nacht wurde übrigens das Neun-Euro-Ticket geboren – eine Idee des liberalen Verkehrsministers Volker Wissing.
Wenn Alexander solche Begebenheiten erzählt, klingen sie erst einmal lustig. Der Journalist verliert aber auch die Ernsthaftigkeit nicht. Denn das Drama war und ist ja real. Die Ampel ist zerbrochen, der neue Bundeskanzler nach kurzer Zeit schon historisch unbeliebt. Dinge, die nicht nur Alexander beunruhigen.
„Ich glaube, dass in der Gesellschaft noch genug Leute bereit sind, die Tassen im Schrank zu behalten.“ Robin Alexander
„Habeck und Lindner haben doch nicht zusammen regiert, weil sie es wollten, sondern weil sie mussten“, sagt er mit Blick auf die schmal gewordene politische Mitte. Die starken Ränder verhinderten, dass die Parteien der Mitte die Politik machen könnten, die ihre Wähler wollten; die Unzufriedenheit wächst – es droht ein Teufelskreis.
„Es muss wieder was klappen“
In der Fragerunde mit dem Publikum ist Alexander sehr auf Ausgleich bedacht. „Ich will Ihnen Ihre politische Meinung nicht ausreden, ich werbe nur dafür zu sehen, dass andere Leute es auch anders sehen“, sagt er zum Beispiel an einen Herrn gewandt, der sich wegen des wachsenden Schuldenbergs sorgt. Und siehe da: Schon in der nächsten Wortmeldung beklagt ein anderer fehlende Mittel für den Straßenneubau.
Auf die Frage eines Mannes, was die Regierung tun müsse, um AfD und Linke wieder klein zu kriegen, sagt Alexander: „Das hängt davon ab, wo Sie politisch stehen.“ Probleme würden nicht mit einem Fingerschnipsen gelöst. Aber: „Es muss jetzt mal wieder was klappen“, sagt er, damit die Regierung wieder Kredit bei den Wählerinnen und Wählern bekomme. Der Untertitel seines Buches – Kampf um die Demokratie – „das ist, wo wir sind“, betont Alexander. „Es ist nicht so, dass morgen 1933 ist. Aber auch vorher kann noch viel schiefgehen.“
Schließlich meldet sich ein Senior. Er macht sich Sorgen um die Rente. Eine umfassende Reform ist dringend nötig, das ist kein Geheimnis. „Kann die neue Regierung das schaffen?“, fragt er. Hat sie die Kraft dazu? Alexanders Antwort fällt denkbar kurz aus. Sie löst, wie so vieles an diesem Abend, Lacher aus, die halb amüsiert und halb verzweifelt sind: „Äh, nein.“