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Migration -  25.07.2019
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Syrer aus Bad Wildbad wegen Terror verurteilt: War er ein Scharia-Polizist?

Stuttgart/Bad Wildbad. Wegen Mitgliedschaft in der Terrororganisation Dschabhat al-Nusra hat das Stuttgarter Oberlandesgericht einen 37-Jährigen zu vier Jahren Haft verurteilt. Der Staatsschutzsenat sah es am Mittwoch als erwiesen an, dass der Syrer Hamad A. sich 2012 der Vereinigung angeschlossen hatte und innerhalb kurzer Zeit in eine führende Position aufgestiegen war. Er wurde Anfang August 2018 in Bad Wildbad festgenommen.

Foto: Symbolbild: dpa

Der Mann bestritt, Mitglied der Terrorgruppe gewesen zu sein, wie ein Gerichtssprecher mitteilte. Mit dem Urteil blieb das Gericht unter dem Antrag der Bundesanwaltschaft. Sie hatte sechs Jahre Haft gefordert, die Verteidigung zwei Jahre. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Nach Auffassung des Gerichts hatte der Mann als Leiter der «Scharia-Polizei» in der syrischen Stadt Tabka Befehle der «Scharia-Richter» ausgeführt. Scharia ist die arabische Bezeichnung für islamisches Recht und beruft sich auf den Koran und die überlieferte Lebenspraxis des Propheten Mohammed.

Bei den Befehlen habe es sich um Verhaftungen, das Bestrafen von Dieben und Absichern öffentlicher Auspeitschungen gehandelt. Zugleich sei er für die Bewachung des eroberten Euphrat-Staudammes zuständig gewesen. Der Staudamm ist wichtig für die Strom- und Wasserversorgung weiter Teile Syriens.

Terrorist hat sich in Bad Wildbad unauffällig verhalten

Die Hauptverhandlung habe keine Anhaltspunkte für eine radikalislamische Einstellung des Mannes in Deutschland ergeben, teilte der Gerichtssprecher weiter mit. Im Mai 2014 war der Mann in die Türkei geflohen und kam dann im November 2015 mit Frau und zwei Kindern nach Deutschland. Nach seiner Festnahme bei einem großen Polizeieinsatz in Bad Wildbad wurde vor fast einem Jahr auch seine Wohnung durchsucht. Seitdem saß er in Untersuchungshaft.

Aus zuverlässigen PZ-Quellen war zu hören, dass sich der 36-jährige Syrer in Bad Wildbad unauffällig verhalten habe. Er sei ein „Mensch wie du und ich“ und auch immer nett zu Kindern gewesen, hieß es. Man hätte nicht gedacht, dass er Mitglied in einer terroristischen Vereinigung sei.

Als Scharia-Polizist Auspeitschungen abgesichert

Das sahen die Ermittler freilich ganz anders. Hamad A. soll sich Ende des Jahres 2012 in Syrien der ausländischen terroristischen Vereinigung „Jabhat al-Nusra (JaN)“ angeschlossen haben. So sieht es die Bundesstaatsanwaltschaft: "Dort stieg er innerhalb kurzer Zeit in eine führende Position auf. Unter anderem war er als persönlicher Assistent eines Gründungsmitglieds der „JaN“ eingesetzt. Zudem übernahm der Angeschuldigte nach der Einnahme der Stadt Tabka in Syrien durch die „JaN“ und andere Gruppierungen am 10. Februar 2013 die Leitung der örtlichen „Scharia-Polizei“. In dieser Eigenschaft war der Angeschuldigte neben der Bewachung des eroberten Euphrat-Staudammes sowie des Krankenhauses von Tabka vor allem für die Umsetzung der Befehle der von der „JaN“ eingesetzten „Scharia-Richter“ verantwortlich. Hierzu gehörten insbesondere die Verhaftungen von Personen, die Ahndung von Diebstählen sowie die Absicherung von öffentlichen Auspeitschungen. Vor diesem Hintergrund führten die schwer bewaffneten Mitglieder der „Scharia-Polizei“ auch regelmäßig Kontrollfahrten in Tabka durch.

Darüber hinaus beteiligte sich Hamad A. auf Seiten der „JaN“ aktiv an Kampfhandlungen gegen die Regierungstruppen des syrischen Machthabers Assad. Insbesondere wirkte er an der Eroberung eines großen Depots des syrischen Militärs bei Mahin in Syrien mit. Dabei erbeutete die „JaN“ erhebliche Mengen an Waffen und Munition. Bei mindestens zwei Kampfhandlungen war der Angeschuldigte mit einem Sturmgewehr des Typs Kalaschnikow nebst dazugehöriger Munition bewaffnet.

Die Mitgliedschaft des Angeschuldigten in der „Jabhat al-Nusra“ endete Ende März/Anfang April 2014, nachdem der „Islamische Staat im Irak und Großsyrien (ISIG)“ das Gebiet um Tabka erobert und den Angeschuldigten gefangen genommen hatte. Bereits Anfang Mai 2014 kam der Angeschuldigte wieder auf freien Fuß und reiste unmittelbar in die Türkei aus. Dort hielt er sich, unterbrochen durch einen neunmonatigen Aufenthalt in Libyen, bis zu seiner Einreise in die Bundesrepublik Deutschland im November 2015 auf."

Terrorist lebte in Flüchtlingscontainern in Rutesheim

In Baden-Württemberg stießen Ermittler immer wieder auf solche Fälle. In Stuttgart gab es 2018 vor dem Oberlandesgericht einen Terrorprozess gegen vier Syrer, denen der Mord an 36 Mitarbeitern des syrischen Assad-Regimes vorgeworfen wurde. Ein wichtiger Tatort lag in der der Nähe von Tabka – und damit in der syrischen Region, in der auch der in Bad Wildbad verhaftete Hamad A. aktiv gewesen sein soll.

Im September 2016 war ein damals 24 Jahre alter Syrer, der offenbar wenige Wochen zuvor ein Zimmer in einer Containersiedlung für Flüchtlinge in Rutesheim bezogen hat, von der Polizei festgenommen worden. Er soll vor seiner Flucht nach Deutschland für die Al-Kaida-nahen Terroristen von Dschabhat al-Nusra gekämpft haben.  

„Hinweise auf mögliche Anschlagspläne in Deutschland gab es zu keiner Zeit“, betonten die Ermittler damals kurt nach der Verhaftung. Immerhin besaß er einschlägiges terroristisches Propagandamaterial auf einem USB-Stick. Den hatte er wohl in einem Zug verloren. Bei der Sichtung des Materials durch die Bundespolizei wurde schnell klar: Hier wird islamistischer Terror verherrlicht. Konkrete Anschlagspläne sollen jedoch nicht der Grund für die Festnahme gewesen sein. Auch sollte sich der 24-jährige Syrer in seinen Asylheimen unauffällig verhalten haben.

Der Terrorverdächtige soll im September 2015 nach Deutschland gekommen und unter anderem in einer Flüchtlingsunterkunft in der Leonberger Sporthalle gelebt haben, bevor er in die Containersiedlung nach Rutesheim kam. Die Festnahme erfolgte, als der Terrorverdächtige zu einer medizinischen Behandlung in einer Klinik in Bald Wildbad unterwegs war.

Bruder und Schwester aus Pforzheim kämpfen und werben für IS

In Pforzheim hatte 2016 der Fall eines jungen Mannes mit eritreischen Wurzeln Schlagzeilen gemacht, der mit 19 Jahren nach Syrien aufgebrochen war. Munir I. soll vor einigen Jahren selbst als radikalisierter Salafist über die Türkei nach Syrien ausgereist sein und für den IS gekämpft haben. Nach Kämpfen um Aleppo wurde er bereits totgesagt, aber offensichtlich war er vor über einem Jahr noch am Leben.

Alina I., seine jüngere Schwester, galt als mutmaßliche Anwerberin für den Frauen- und Mädchen-Nachschub für die IS-Krieger. Der vor über 30 Jahren aus Eritrea nach Pforzheim gekommene Familienvater gilt als liberaler Muslim, der genau das Gegenteil jener extremistischen Bewegung darstellt.

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Autor: dpa/ol/tok