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Remchingen -  22.11.2019
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Worte voller Tiefe und Poesie: „Rilke-Projekt“ begeistert in Remchingen

Remchingen. Handelt es sich um eine Transformation von Literatur in Musik, um eine Versinnbildlichung von Poesie in Tongemälden oder um eine auf klanglicher Ebene vorgenommene Interpretation lyrischer Texte? Fest steht: Nina Hoger, Ralf Bauer und Jonathan Kluth lassen Rainer Maria Rilke in seinen Texten lebendig werden. Sie geben einen Einblick in seine Gedankenwelt, in seine Vorstellungen von Kunst und Literatur. Das Publikum in der nahezu voll besetzten Remchinger Kulturhalle taucht ein in die Schönheit seiner Verse, in die Magie, die in seinen wohlgeformten Sätzen liegt.

Das Innere der Seele offengelegt

Hoger und Bauer rezitieren Briefe des 1875 in Prag geborenen Dichters, die viel über seinen Charakter, über seine Ansichten und seine Gefühle verraten. Korrespondenz pflegte er unter anderem mit Lou Andreas-Salomé, die er 21-jährig als Student in München trifft, mit der er rund drei Jahre eine Liebesbeziehung unterhält und die ihm auch danach bis zu seinem Leukämie-Tod 1926 in Freundschaft verbunden bleibt. Sie bedeutet ihm alles und gibt ihm Halt. Die an sie gerichteten Briefe sind mehr als in Prosa verfasste, auf die Übermittlung von Informationen gerichtete Mitteilungen. In ihnen legt der Dichter in lebhaften Schilderungen und in zwischen Anschaulichkeit und Abstraktheit hin und her pendelnden Bildern das Innere seiner Seele offen. Einfühlsam und authentisch, ohne ein Zuviel an Pathos, bringen Hoger und Bauer die Briefe zum Vortrag – mal von den Musikern Richard Schönherz, Matthias Leber, Ali Neander und Andreas Neubauer begleitet, mal in die Stille hinein. Gekonnt setzen sie die Worte in Szene und ermöglichen den Zuhörern einen emotionalen Zugang zum Dichter und zum Privatmann Rilke. Ein Mensch, der seiner Zeit weit voraus war. In seinen lyrischen Texten, insbesondere in den beiden Bänden der „Neuen Gedichte“, spiegelt er die menschliche Gefühlswelt symbolisch an realen Dingen. Auch wenn es sich dabei nicht um Dinggedichte in einem strengen Sinn handelt, werden doch reale Gegenstände in die sprachliche Sphäre überführt. Etwa der Panther, dessen Blick „vom Vorübergehn der Stäbe so müd geworden“ ist, dass „er nichts mehr hält“. Mit seiner tiefen, warmen Stimme gibt Bauer in der dritten, die Innensicht enthaltende Strophe durch beständige Repetition eine Vorstellung von der Ausweglosigkeit.

Hohe Intensität

Leber erzeugt am Akkordeon schnell vor sich hinlaufende Melodieketten. Sollen sie die Rastlosigkeit des eingesperrten Tiers versinnbildlichen? Der von behaglicher Wärme erfüllte Gesang Jonathan Kluths gibt Rilkes Worten noch mehr Tiefe. Er verstärkt die von Hoger und Bauer evozierten Eindrücke zu einem an Intensität kaum noch zu steigernden Erlebnis. Unzählige Texte bringen Musiker und Schauspieler zum Vortrag, auch einige aus Rilkes einzigem Roman „Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge“, der aus über 70 montageartig zusammengesetzten Einzelaufzeichnungen besteht und sich mit elementaren Lebensfragen auseinandersetzt.

Als der Abend nach zwei Stunden endet, bricht tosender Beifall los. Eigentlich hätte auch Edo Zanki auf der Bühne stehen sollen. Doch der deutsche „Godfather of Soul“ verstarb Anfang September überraschend. „Wir verneigen uns vor dir, du wunderbarer Mensch, du großer Musiker“, sagt Hoger mit brüchiger Stimme: „Wir bedanken uns für die Zeit, die wir mit dir verbringen durften.“ Dem ist nichts hinzuzufügen.

Autor: Nico Roller