Heimsheim
Enzkreis -  22.01.2019
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Aktenstau beim Nachlassgericht: Deshalb warten Erben monatelang auf Antworten

Pforzheim/Enzkreis. Ein PZ-Leser aus Neulingen ist verärgert. Nach dem Tod seines Stiefvaters im Frühjahr 2018 wandte er sich bezüglich der Testamentseröffnung an das Amtsgericht Pforzheim. „Was sind die nächsten Schritte, wie geht es weiter?“, wollte er damals in seiner E-Mail wissen. Ein eigentlich ganz normales Vorgehen, wie es ihm schien. Doch obwohl er immer wieder versuchte, Kontakt aufzunehmen, wartete der Neulinger auch noch Anfang 2019 auf eine konkrete Antwort.

„Vorgesetzte werden mir nicht genannt. Und telefonisch ist auch nichts zu erreichen. Ich weiß nicht, was ich noch weiter tun kann oder soll“, schrieb der Leser.

Viele offene Verfahren

Mittlerweile wurde das Testament zwar eröffnet, doch mit solch einer langwierigen Situation ist der Neulinger, wie sich herausstellt, nicht alleine: Oliver Weik, der Direktor des Amtsgerichtes, spricht offen darüber, dass sich unzählige Akten auch ein Jahr nach der Notariatsreform auf den Schreibtischen der Mitarbeiter des Nachlassgerichtes stapeln. Seit der Umstellung kommen die Angestellten noch immer an ihre Grenzen. „Die Personalsituation hat sich deutlich verbessert, ist aber immer noch angespannt“, erklärt Weik auf Nachfrage. Das bedeutet konkret: Zwar konnten im vergangenen Jahr neue Stellen zur Entlastung geschaffen und sogar bereits besetzt werden, dabei handele es sich aber überwiegend um nicht ausgebildete Justizfachangestellte. Die Folge: Neben dem alltäglichen Geschäft mussten die neuen Kollegen eingearbeitet und Schulungen zum Nachlassrecht und –verfahren sowie dem neu eingeführten EDV-Programm zur Fallbearbeitung besucht werden. So entstanden laut dem Amtsgerichtsdirektor bis 31. Oktober 2018 bereits 600 Überstunden bei den Mitarbeitern des Nachlassgerichtes.

Ein Problem, das zu den zusätzlichen Verfahren und zur allgemeinen Überlastung hinzukomme: „Die – für sonstige amtsgerichtliche Verfahren tatsächlich ungewöhnlichen – Bearbeitungszeiten beim Nachlassgericht resultieren aus einem hohen Geschäftsanfall durch die Übernahme von etwa 1000 offenen Fällen der aufgelösten Notariate und aus einer unerwartet hohen Zahl an Neueingängen bei zu geringer Personalausstattung“, so Weik. Er versichert aber, dass derzeit weiter daran gearbeitet werde, die Situation zu verbessern. Zur Prüfung der Arbeitsabläufe etwa bestünden beim Amtsgericht zwei Arbeitsgruppen, die sich regelmäßig treffen. „Optimierungen, die in unserer Hand liegen, wie zum Beispiel die Einrichtung einer eigenen Telefonzentrale für das Nachlassgericht, sind bereits eingeführt oder werden gerade umgesetzt“, sagt der Amtsgerichtsleiter. Andere Vorschläge zur Steigerung der Effizienz, wie etwa eine Änderung der Vorschriften über die Aktenführung, bedürften hingegen einer landesweiten Regelung.

Keine Zwischennachrichten

Bleibt eine Frage offen: Warum ist es nicht möglich, Erben mitzuteilen, inwieweit die individuellen Fälle bereits bearbeitet wurden? „Da die Bearbeitung von Sachstandsanfragen und die Versendung von Zwischennachrichten erhebliche Arbeitskraft bindet, ohne dass damit eine Förderung des Verfahrens verbunden wäre, haben wir – letztlich auch im Interesse der Antragsteller – entschieden, Sachstandsmitteilungen nur in Ausnahmefällen zu erstellen“, macht Weik deutlich. Insgesamt seien die Mitarbeiter immer bemüht, die Fälle sachgerecht zu priorisieren. Nachlassfälle, die an gesetzliche Fristen gebunden sind, wie etwa die Ausschlagung eines Erbes, werden also vor anderen Erbsachen bearbeitet.

Ein abschließender Tipp des Experten: Vielen Erben sei nicht bekannt, dass Notare auch heute noch einen Erbscheinantrag aufnehmen können. „Dort sind die gleichen Angaben zu machen und Unterlagen beizubringen“, sagt Weik. Und die Gebühren für den Erbscheinantrag seien beim Notar genauso hoch wie beim Gericht.

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Autor: Julia Wessinger