Neue Selbsthilfegruppe für Transgender im Enzkreis gegründet
Enzkreis/Pforzheim. Röcke, Blusen und all das Schminkzeug hat Jürgen immer wieder weggeschmissen – und doch wieder neu gekauft. Gefühle lassen sich nicht einfach entsorgen, schon gar nicht das Gefühl, eigentlich eine Frau zu sein – 0im Körper eines Mannes. Jürgen fühlte sich schon immer als Joanna, unterdrückte aber das Weibliche in sich über Jahrzehnte.
Aus Angst, Selbstzweifel, Konventionen. 68 Jahre lang, bis zu seinem Herzinfarkt. Die Geburtsstunde von Joanna. „Als die Ärzte sagten, dass ich nach der Operation vielleicht noch gut 15 Jahre leben werde, war mir klar, dass dieses Leben nun Joanna gehört.“
Das ist zwei Jahre her. Es ist viel passiert, seit Joanna offen als Frau lebt, samt offizieller Namensänderung im Pass. Viel, worüber sie reden mag, mit anderen Transgendern, aber auch mit deren Angehörigen. So wie Angelika, deren Lebensgefährte seit einem psychischen Zusammenbruch und einer siebenwöchigen Therapie seine weibliche Seite als sogenannter Crossdresser auslebt, indem er gelegentlich in Frauenkleider schlüpft.
Anonymität wichtig
„Partnerinnen fühlen sich oft überfordert, versuchen aber, für ihren Liebsten nur das Beste zu tun“, sagt Angelika. Zusammen mit Joanna hat sie nun eine Selbsthilfegruppe im Raum Pforzheim ins Leben gerufen. „Für Betroffene gibt es wenig Anlaufstellen im direkten Umfeld. Oder sie fahren teils auch aus Scham oft Hunderte von Kilometern, um sich weit weg von zu Hause mit anderen auszutauschen“, weiß Angelika.
Es gibt klare Regeln: Es spricht nur einer, die anderen hören zu. Die Treffen dauern anderthalb Stunden mit festem Anfang und Ende. Und das Wichtigste: die Anonymität. Daher nennt auch die PZ an dieser Stelle nur Vornamen. Sieben Teilnehmer waren beim ersten Treffen im Dezember dabei. „Ein toller Start mit bereits sehr tiefgründigen Gesprächen“, urteilt Joanna, die sagt, dass besonders die Gruppe der Über-40-Jährigen nach solchen Möglichkeiten suche. Während Jugendliche heute Infos und Austausch im Internet finden, gab es diese Möglichkeiten für sie selbst früher nicht. Dabei hat sie als Kind schon gespürt, dass sie kein Junge ist. „Die Mehrheit weiß es früh, verdrängt es aber, hält sich für krank, schämt sich und hat die Hoffnung, dass sich das wieder legt. Doch das ist ein Trugschluss.“ Der Alltag als Mann hat es ihr lange Zeit möglich gemacht, ihre Weiblichkeit zu überspielen. Nicht ohne Rückschläge. Es gab viele depressive Phasen, viele Heimlichkeiten, viele Lügen, viel Angst.
Gesellschaft offener
Ähnliches hat Angelika über ihren Lebensgefährten erfahren. „Auch er hat sein Bedürfnis, sich als Frau zu kleiden, immer zurückgedrängt. In der Familie mit kirchlicher Erziehung war das ein klares Tabu.“ Heute lebt er dies offen, will in den Momenten als Frau auch als Frau angesprochen werden. Es sei von Vorteil, dass die Gesellschaft inzwischen offener sei und auch im Fernsehen Transsexualität thematisiert werde. Auch wenn es um die geschlechtsanpassende Operation gehe – einen Schritt, den Joanna aber aus gesundheitlichen Gründen nicht gehen will: „Das ist schon ein großer Eingriff, besonders in meinem Alter.“ Aber es ist merklich, dass sie sich heute wohlfühlt in ihrer Haut – geschminkt und gekleidet wie andere Frauen auch.