Dynamisches Wechselspiel: Luther trifft Jazz in Königsbach-Stein
Königsbach-Stein. Farben- und formenreiche Klanggemälde entstehen, wenn Roman Rothen und Rick von Bracken eine Brücke zwischen geistlicher Musik und Jazz schlagen. Bei ihrem Benefizkonzert zugunsten des christlichen Hospizes Pforzheim/Enzkreis steht am Abend des Reformationstags im evangelischen Gemeindehaus in Stein passenderweise Martin Luther im Mittelpunkt, genauer gesagt dessen Deutsche Messe.
In dem 1526 veröffentlichten Werk hat der Reformator eine Gottesdienstordnung vorgegeben und neue Melodien geschaffen. Einige davon hat Rothen für das Benefizkonzert mit von Bracken übernommen und neu arrangiert, andere stammen vollständig aus der Feder des in Stein lebenden Komponisten.
Das knapp einstündige Konzert folgt in seinem Ablauf Luthers Deutscher Messe – und beginnt folglich mit dem Introitus, einem Wechselgesang, der am Anfang des Gottesdiensts steht und sowohl das innerliche Zugehen auf Gott als auch sein Einziehen in den Gottesdienst symbolisieren soll. Während Rothen im dynamischen Wechselspiel zart die Saiten seines Kontrabasses zupft, spannt von Bracken an seinem Saxofon weite Melodiebögen aus.
Aufruf zur Nächstenliebe
Mit schönen Effekten tragen sie das Kyrie Eleison vor. Dann erzählen sie die Geschichte des barmherzigen Samariters: ein Gleichnis aus dem Neuen Testament, das zur Nächstenliebe aufruft. Es erzählt von einem Mann, der brutal ausgeraubt wird: Von Bracken entlockt dem Tenorsaxofon wilde Wirbeleien, Rothen lässt den Bogen in schnellen Läufen über die Saiten des Basses gleiten. Eine rhythmische, gleichförmige Melodie symbolisiert die Zeit, die vergeht, bis dem Mann geholfen wird: Weder ein Priester noch ein Levit tun etwas. Tiefe, wohltuende Bassklänge zeigen das Kommen des Samariters an, der sich des Verletzten erbarmt, seine Wunden versorgt und ihn zu einer Herberge transportiert.
Auch aus Luthers Adventslied „Nun komm, der Heiden Heiland“ hat Rothen etwas Eigenes geschaffen: ein dynamisches Stück, in dem die Musiker im wohl austarierten Zusammenspiel abwechselnd Akzente setzen. Eine vollständige Eigenkomposition ist dagegen Rothens Vertonung des Bibelverses „Der Gerechte wird aus Glauben leben“ (Römer 1,17), der Luther zu einem neuen Schriftverständnis führte. Eine zarte, organisch vor sich hinfließende Melodie lädt dazu ein, die Augen für ein paar Minuten zu schließen.
Impulse für Kirchenmusik
Hymnenartig wirkt Deudsch Sanctus, bevor Rothen zum Bogen greift und damit deutlich macht, dass es Zeit für den innig vorgetragenen Segen ist. Zusammen mit von Bracken gibt er der Kirchenmusik an diesem Abend neue Impulse. Indem sie Genregrenzen bewusst überschreiten, zeigen die Musiker, wie viel Modernes in den Stücken Luthers steckt. Es ist nicht das erste Mal, dass Rothen sich musikalisch mit dem Reformator auseinandersetzt, der einst als Professor an der Universität in Wittenberg lehrte. Das Publikum spendet tosenden Beifall. Eigentlich hätte es noch zwei weitere Benefizkonzerte für das christliche Hospiz Pforzheim/Enzkreis geben sollen. Doch die neuen Verordnungen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie sorgen dafür, dass beide abgesagt werden müssen.
