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Pforzheim -  20.12.2025
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Besinnliches Treiben in der Goldstadt: Weihnachtsgeschichte hat nichts von ihrem Zauber verloren

Pforzheim. Der ehemalige Denkmalpfleger Christoph Timm begibt sich heute auf die Suche nach dem historischen Ursprung des weihnachtlichen Treibens. Wo im Stadtraum ist die Geschichte sichtbar, die dem zugrunde liegt?

Die Weihnachtskrippe am Leopoldplatz.
Die Weihnachtskrippe am Leopoldplatz. Foto: C.Timm

Im Festkalender der Pforzheimer Innenstadt hat die Weihnachtszeit einen Stammplatz: Lichter und Bäume überall, festlich dekorierte Schaufenster, Glühwein, fröhliche Gesichter, Winterwelt und Kunsteisbahn. Wo im Stadtraum ist allerdings die Story dahinter sichtbar, die der ganzen Feierei zugrunde liegt? Wo gibt es im Raum unserer Stadt Hinweise auf den historischen Ursprung des festlichen Treibens?

Am Leopoldplatz kreuzen sich in goldstädtischer Frequenz Passantenströme und Stadtbusse. Dort steht unter einem großen Weihnachtsbaum die „Weihnachtskrippe auf dem Leo“, eine hölzerne Hütte mit anheimelndem Giebeldach. Etliche Passanten bleiben dort stehen, vor allem Kinder schalten auf Empfang, staunen, können sich nicht sattsehen – durch die Schutzscheibe geht ihr Blick auf das klassische Personal der Weihnachtshandlung: Hirten, Schafe, Esel, Könige, Maria, Josef, das Christuskind in Stroh gebettet, wie es der Evangelist Lukas geschildert hat. Darüber ein leuchtender Stern. Eine Szenerie, die Herz und Gemüt bezaubert.

Frage an Christoph Lettow-Vorbeck vom Verein Pforzheim mitgestalten e. V., den verantwortlichen Kopf hinter dieser temporären Attraktion: Wer hatte die Idee? „Die hatte 2011 Hermann Schütz, der inzwischen verstorbene Ehrenvorsitzende des Vereins“, erinnert sich Lettow-Vorbeck. „Der Holzbildhauer Rudi Bannwarth schuf die Krippe, beim Aufbau helfen traditionell Vereinsmitglieder, die Technischen Dienste der Stadt Pforzheim gewähren Unterstützung, der Bläserchor der Auferstehungskirche umrahmt die feierliche Eröffnung.“ Die Weihnachtskrippe sei ein Ort der Begegnung und des Austauschs für alle, fügt Lettow-Vorbeck hinzu:

„In unserer interkulturellen Stadtgesellschaft die christliche Symbolik der Weihnachtsgeschichte zur Weihnachtszeit zu erzählen“, das sei ihm ein Herzensanliegen.

Gibt es in der winterlichen Innenstadt weitere Spuren dieser weltweit populären Geschichte? Begeben wir uns auf die Suche. Fündig wird man, wenn man die Schwellen einiger Gotteshäuser überschreitet. Tagsüber offen steht zuverlässig die Tür zur Barfüßerkirche in der Barfüßergasse, dem bescheidenen Rest einer einst großen gotischen Hallenkirche des Franziskanerordens. Dort schildert der Maler, Glasmaler und Grafiker Sepp Frank (1889-1970) aus Miesbach in Oberbayern die Geschichte um Weihnachten in farbigen Glasbildern. Die Gestalt eines barfüßigen Mönches auf einem der südseitigen Fenster zeigt den Patron des Gotteshauses, Franz von Assisi. In dessen Nachfolge errichteten Franziskaner in etlichen Städten fast baugleiche Bettelordenskirchen. Franz von Assisi gilt unter kirchlichen Experten als Initiator des weihnachtlichen Krippenspiels, das sich vor achthundert Jahren im mittelalterlichen Europa verbreitete: „Die Idee, das Weihnachtsgeschehen durch eine spielerische Inszenierung sinnlich vor Augen zu führen“, so erläutert Niklaus Kuster, ein Schweizer Kapuzinermönch, „geht auf Franz von Assisi zurück.“

Thomas von Celano, ein Augenzeuge, hat jene Feier beschrieben: Die Mönche statteten in der Nähe des italienischen Dorfes Greccio eine Höhle mit Heu und Stroh aus. Ein Freund ließ einen Ochsen und einen Esel herbeiführen. Schafe kamen dazu. Als die Nacht sich über das Tal legt, gesellte sich ein junges Paar mit einem Neugeborenen in die Mitte der feiernden Mönche. Hartherzige Wirte und Herbergssuche hatten in diesem ersten Krippenspiel der Geschichte keinen Platz. Tatsächlich spricht viel dafür, die Geburtsszene nicht in einem Stall oder in einer Herberge zu verorten, sondern in einer jener Höhlen, wie sie im Heiligen Land in der Umgebung von Bethlehem bis heute zu besichtigen sind.

Das Narrativ von der weihnachtlichen Feier in der Höhle von Greccio in Solidarität mit den einfachen Leuten machte die Runde, entfaltete eine erzählerische Kraft, die in unterschiedlichsten Kulturkreisen weltweit ein Echo fand. Davon zeugt etwa eine Ausstellung im elsässischen Wissembourg, die über 200 handgefertigte Krippen aus aller Welt präsentiert, gesammelt von dem Priester Jean-Marc Bottais.

Im ersten nordseitigen Fenster des Barfüßerchors zeigt Sepp Frank das Startmotiv der Weihnachtsgeschichte: Ein Engel Gottes in weißem Gewand tritt an Maria heran, um das Wunder der Geburt des Gottessohnes anzukündigen. Diesen Engel kennen alle drei abrahamitischen Religionen unter dem Namen Gabriel (hebr. Gavri’el, arab. Gibril, „meine Kraft ist Gottes“). Der Künstler gab ihm eine helle Feder in die Hand, das Symbol des Friedens. In einem weiteren Fensterbild vereint er Maria mit dem Kind, mit den staunenden Hirten und dem strahlenden Stern: „Himmlische Heere jauchzen dir Ehre: / Freue, freue dich o Christenheit!“ Dann folgt ein jäher Bildszenenwechsel: Ein Despot fürchtet um seine Macht und trachtet dem Kind nach dem Leben. Maria und Josef fliehen mit ihrem Neugeborenen ins Ausland. Die menschliche Erfahrung von Flucht und Obdachlosigkeit ist Teil der Weihnachtsgeschichte.

Vom Barfüßerchor ist der Weg nicht weit zur katholischen St. Franziskuskirche in der Erbprinzenstraße. In dieser Basilika aus dem Jahr 1891 findet sich eine sehenswerte Krippe, die rund 23 Figuren und vier Gebäude umfasst. Mit einer Länge von fast 10 Metern nimmt sie einen prominenten Platz im basilikalen Seitenschiff ein. Eine Besonderheit dieser Krippe besteht darin, dass sie nicht statisch ist, sondern ihr Aussehen im Laufe der Advents- und Weihnachtszeit wandelt: Sie folgt der Erzählung des Lukas-Evangeliums von der Verkündigung an Maria über Jesu Geburt in Bethlehem bis zum Dreikönigstag (6. Januar): „Im ersten Szenenbild“, so ein Hinweis an die Besucher, „verkleidet ein roter Samtvorhang den Innenraum, in der zweiten Woche, in der Maria ihre Cousine Elisabeth besucht, erhält das Gebäude einen Vorbau, welcher zum Heiligabend abgebaut wird, jetzt verwandelte sich der Innenraum in einen Stall.“ Bis zum kirchlichen Fest Maria Lichtmess (2. Februar) bleibt die Krippe stehen, um Kindergruppen und Familien genug Zeit für einen Besuch zu geben. Urheber dieser raumgreifenden Krippe waren der mittlerweile verstorbene Werner Burger sowie der Mesner der Franziskuskirche Heinz Spreng, die das Werk in mehrjähriger Arbeit mit einem Helferkreis erstellten und am 2. Dezember 1973 (1. Adventssonntag) der Gemeinde präsentieren.

Träume von Weihnachten birgt auch die 1968 eingeweihte Evangelische Stadtkirche am Lindenplatz, geöffnet nur im Rahmen von Gottesdiensten und Veranstaltungen. Hans Gottfried von Stockhausen (1920-2010), ein viel beachteter Glaskünstler und Hochschullehrer mit umfangreichem OEuvre, schuf für den intimen Raum der sogenannten Werktagskirche (an Werktagen nicht geöffnet!) ein Glasfenster, das seinen Fokus auf das Wesentliche setzt: Marias Zwiesprache mit ihrem neugeborenen Sohn. Der ist geschnürt wie ein Fatschenkind, zeigt ein Gesicht wie ein alter Mann. Aus dem turbulenten, giftgelben Himmel stößt adlergleich ein Engel herab. Josef, die Hirten, sie glänzen durch Abwesenheit. Rahmend eingefasst wird dieses Kunstwerk von funkelnden Farbglassteinen wie das Kleinod eines mittelalterlichen Buchdeckels.

Eine Krippe steht am Heiligabend unter dem großen Weihnachtsbaum im weiten Sakralraum der Stadtkirche. Dabei handelt es sich um das Werk von Kriegskindern. „Heute wundere ich mich, dass wir als Jugendliche sowas zustande gebracht haben“, kommentiert Roland Ganninger in einem Interview die Genese dieser anrührenden Bastelarbeit. In der Nachkriegszeit baute er diese Krippe als 12-Jähriger gemeinsam mit seinem älteren Bruder Horst und seiner schneiderkundigen Schwester für das private Wohnzimmer seiner Mannheimer Familie, mit einem Stall aus Sperrholz, etlichen Figuren aus Pappmaché. Die Mutter, eine von Hitler verführte Atheisten, ließ die Kinder gewähren. Um 1965 war das Werk fertig. Als Jugendlicher lernte Roland den Kirchenmusiker Rolf Schweizer kennen, spielte im Posaunenchor. Später wurde er Werklehrer, zog nach Ellmendingen, entdeckte das eingemottete Jugendwerk auf dem Speicher wieder, baute es zu Weihnachten auf einem Fensterbrett auf. Von dort gelangte die Krippe um 2006 als Dauerleihgabe an die Stadtkirchengemeinde. Weitere Bauteile und Figuren gesellten sich hinzu, Kinder, Wiese, Schafe, ein Stern aus der Manufaktur Herrenhuth, der den Gläubigen den Weg weist.

Mitmach-Krippenspiele zum Heiligabend haben etliche Kirchengemeinden im Programm. Welche immateriellen kulturellen Schätze rund um die Weihnachtsgeschichte mögen in unserer Stadt noch lebendig sein?

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