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Veranstaltungen -  09.09.2019
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Brillanz beim Heimspiel: Klavier-Recital mit Bernd Glemser bei den Klosterkonzerten

Maulbronn. Guten Pianisten steht die ganze klangliche Bandbreite zwischen Ungestüm und Zartheit zur Verfügung. Bernd Glemser, seines Zeichens „Artist in Residence“ bei den Maulbronner Klosterkonzerten, ist ein solcher Künstler. Er bahnt sich am Konzertflügel dynamisch unerhört flexibel seinen Weg durch das dichte Notengeflecht der Partituren, läuft dabei stets zu großer Form auf und durchstreift auch in diesem Jahr wieder mit pianistischer Brillanz die Ausdruckslandschaften des facettenreichen Musikprogramms seines traditionellen Maulbronner Recitals.

Das im Laienrefektorium des Maulbronner Klosters einleitend gebotene Impromtu op. 90/1 in c-Moll von Franz Schubert stimmte mit einer dunkel-düsteren Fantasie über ein unentwegt wiederkehrendes Thema auf Abgründe, aber auch auf die erlösenden Aufhellungen des Schubert’schen Klangpanoramas ein, das der Pianist anschließend mit der Wiedergabe von Schuberts Klaviersonate Nr. 21 in B-Dur (D 960) farbintensiv nachzeichnete.

Signal der Dramatik

Die von dumpfen Basstrillern untermalte, träumerisch hinfließende Sehnsuchtsmelodie, die den ersten Satz („Molto moderato“) eröffnet, wurde von Glemser mit wunderbarer Einfühlung wiedergegeben, später aber von schrundig tiefen Ausbrüchen und enormen Klang-Steigerungen abgelöst. Dieser an musikantischen Einfällen reiche Satz war mit hohen spieltechnischen Anforderungen nur so gespickt.

Heller und höher, zuweilen auch heftig im Ausdruck, folgte der Gesang des im Grundcharakter besinnlich interpretierten „Andante sostenuto“. Der dritte Satz („Scherzo“) wirkte mit seinen sprudelnden Klavier-Skalen wie ein erfrischend fröhlicher Tanz, während sich im Finalsatz („Allegretto ma non troppo“) ein mehrfach eingeblendeter Halteton wie ein Signal der Dramatik entgegenstemmte, die auf ein ungewisses Ende zueilte.

Klavieristische Bravour und glanzvolle Virtuosität präsentierte Glemser nach der Konzertpause mit Alexander Skrjabins Fantasie für Klavier in h-Moll (op. 28): welche Bewegung, welche akkordi-sche Wucht! Und wiederum eine Einstimmung auf Frédéric Chopins Klaviersonate Nr.2 in b-Moll (op. 35) mit dem berühmten „Marche funèbre“ im dritten Satz.

Vor genau zwanzig Jahren hatte Andrei Gavrilov schon einmal diese Sonate im Laienrefektorium mit bizarrer Fantastik und sich überschlagenden Launen gespielt. Seine Interpretation des Trauer-marschs mündete genialisch dröhnend in irrlichternde Ekstase ein.

Gegenstück nach 20 Jahren

Völlig anders nun Glemsers Wiedergabe: Tief über die Tastatur gebeugt bändigte er die auch bei ihm spürbare Ergriffenheit und Emotion eisern streng durch die vorgegebene kompositorische Form, die er mit Feingefühl und kraftvoll gespannter Eleganz ausdeutete.

Die Erregungszustände dieses Musiksatzes wurden von Glemser in eine pianistisch makellose Gestalt überführt, das heroische Pathos und die Glocken-Bässe der ersten Takte, die offenbar ein Trauer-Kondukt vorstellen, zu elementarer Wirkung gesteigert. Hier war Musik- und Interpretationsgeschichte zu erleben. Der vom Publikum bejubelte Glemser-Klavierabend, gewiss ein Höhepunkt des Festival-Sommers in Maulbronn, war eine Sternstunde – nicht nur in dieser Hinsicht.

Autor: Eckehard Uhlig