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Kreis Calw -  12.08.2023
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Der mit dem Wolf lebt: Auf Spurensuche im Wolfsrevier

Nordschwarzwald. Es ist ruhig. Keine Autogeräusche, keine Menschenstimmen, keine Tiere, einfach nur Stille an dieser Kreuzung zweier Waldwege auf dem Höhenrücken von Kaltenbronn. Kilometerweit ging es zuvor mit dem Auto über teils kerzengerade Waldwege, gesäumt von Heidelbeersträuchern und Farnen. Nur der Wind rauscht hin und wieder durch die großen Tannen.

Er bläst stark an diesem kühlen Tag mitten im August. Gerade einmal 17 Grad zeigt das Thermometer, der Waldboden ist nass und sumpfig wie im Herbst. Doch auch wenn dieses Fleckchen Erde in diesem Moment so verlassen scheint – es gibt Spuren, die zeigen, dass das nicht immer so ist. Spuren, die der Wolf GW 852m hier hinterlässt.

In die Fotofalle getappt

An einem Baum am Wegesrand hängt eine Wildtierkamera. Martin Hauser, Wildtierbeauftragter des Landkreises Rastatt, der in für dieses Waldstück oberhalb von Enzklösterle zuständig ist, öffnet das abgeschlossene Gerät, holt die Speicherkarte heraus und steckt sie in sein Handy. Und siehe da, er war wieder da.

„Der Wolf GW 852m ist hier regelmäßig auf den Fotofallen zu sehen“, sagt Hauser.

Vor allem im Waldgebiet zwischen Kaltenbronn, dem Murgtal, Baiersbronn und Bad Rippoldsau drehe er gerne seine Runden. Offenbar teilt er sich das Areal mit Luchs Toni, über dessen Bewegungen ein Sender Auskunft gibt. Während der Luchs auf den Hängen unterwegs ist, bleibt der Wolf aber lieber auf der Hochebene. „Für seine Runden nutzt er meistens die Waldwege“, sagt Hauser.

Besonderer Geruch

Das weiß der Experte auch deshalb, weil er hier noch ganz andere Spuren findet: den Kot des Wolfes. „Dieser liegt meistens mitten auf dem Waldweg“, erklärt Hauser. Die spezifischen Merkmale lassen sofort erkennen, dass es sich um die Hinterlassenschaften des Raubtieres handelt:

„Der Haaranteil ist sehr groß, außerdem finden sich Teile von Knochen, Zähnen und Hufen in den Ausscheidungen. Denn der Wolf nagt den Knochen seiner Beute nicht ab, sondern frisst ihn einfach mit“, sagt Hauser.

Der Haufen, der da auf dem Weg liegt, ist mindestens 20 Zentimeter groß. Der Kot hat einen stechenden, beißenden Geruch, den man schon aus etwa drei Meter Entfernung riecht und der einem noch lange in der Nase bleibt. „Wenn die Hinterlassenschaft noch frisch ist, kann daraus DNA gewonnen werden. Wenn sie schon ein paar Tage liegt, analysieren wir nur die Nahrungszusammensetzung“, erklärt Hauser. Immer wieder zeige sich dabei, dass der Anteil der Nutztiere auf dem Speiseplan des Wolfes verschwindend gering sei.

„Trotzdem ist natürlich jeder Nutztier-Riss ein sehr emotionales Thema für den Besitzer. Die Halter stehen vor der großen Aufgabe, dass sie ein mögliches Loch im Zaun schneller entdecken müssen als der Wolf“, sagt Hauser. Bei Rissen wie auch 2018 in Enzklösterle, als der Angriff von GW 852m insgesamt rund 40 Schafe das Leben kostete, wird er als Experte hinzu gerufen. „Zum Glück ist so etwas in dieser Dimension nicht mehr vorgekommen“, sagt Hauser. Dennoch sei das Verhalten des Wolfes damals nicht „unnormal“ gewesen: „Der Wolf ist ein Rudeltier, der stets versucht, mit geringem Aufwand möglichst viel Beute zu machen“, sagt Hauser. Vermutlich sei das Tier mit der Situation – die Schafe konnten wegen Zaun und Enz nicht vor ihm wegrennen – überfordert gewesen. Denn eigentlich reichen dem Raubtier fünf bis zehn Kilogramm Fleisch pro Tag.

Auge in Auge mit dem Wolf

Nicht nur Risse, Kot und Fotos weisen auf die Anwesenheit des Wolfes hin. Immer wieder gibt es auch Sichtungen. „Das ist aber natürlich der unsicherste Nachweis“, weiß Hauser, der schon mit vielen Menschen gesprochen hat, die den Wolf gesehen haben wollen. „Ich dokumentiere ihre Beobachtungen auf speziellen Formularen“, erklärt Hauser. Oft seien diese aber nur sehr vage – und in vielen Fällen war es wohl doch kein Wolf, der gesehen wurde. „Eine Frau hat mir ganz aufgeregt ihre Begegnung geschildert. Diese habe schließlich ein Ende gefunden, als ein Pfiff ertönte und das Tier wegrannte. Das war mit ziemlicher Sicherheit kein Wolf, sondern ein Hund“, meint Hauser.

Doch wie läuft sie eigentlich ab, eine wirkliche Begegnung mit einem Wolf? Aus den Schilderungen weiß Hauser:

„Ein Spaziergänger sieht meist aus rund 100 Meter Entfernung einen Wolf im Wald. Beide schauen sich gegenseitig an, denn der Wolf ist selbstbewusst und neugierig. Weil der Mensch für ihn aber eigentlich uninteressant ist, dreht sich das Tier schließlich um und läuft weg.“

Für die einen, die dem Wolf offen gegenüber stehen, sei eine solche Begegnung beeindruckend. Andere, die Vorbehalte haben, beschreiben den Blick des Wolfes als „Fixieren“ und empfinden ihn als beängstigend. „Dabei ist das einfach nur das normale Verhalten. Der Wolf steht auf der Nahrungskette ganz oben und ist kein Fluchttier“, beruhigt Hauser. Bei Begegnungen sollte man einfach ruhig bleiben und langsam weggehen. Wichtig sei, Hunde an die Leine zu nehmen, damit es nicht zu Konflikten komme.

Seit vielen Jahren lebt GW 852m bereits in unseren Wäldern im Nordschwarzwald. Mittlerweile ist er sieben oder acht Jahre alt – und gerade ganz frisch Onkel geworden: Der Wolf, der im Südschwarzwald Nachwuchs bekommen hat, ist sein Bruder. Ob es auch für den einsamen Nordschwarzwald-Wolf noch reicht, eine Familie zu gründen? „Die Wolfsdame, die jetzt im Südschwarzwald Mutter geworden ist, muss damals auf ihrem Weg aus dem Norden Deutschlands auch bei GW 852m vorbei gekommen sein. Dann ist sie aber offenbar weiter zu dessen Bruder gezogen“, meint Hauser. „Wenn jetzt eine andere Wölfin hier durchzieht, kann es durchaus noch etwas werden, auch wenn er das Durchschnittsalter bereits erreicht hat“, sagt der Experte.

Hauser beschäftigt sich seit vielen Jahren mit dem Raubtier. Er findet kleinste Spuren und weiß, wie das Tier handelt und wo es sich gerne bewegt. Einmal war er dem Wolf schon ganz nah. Oder besser: der Wolf ihm. Im Winter, als GW 852m durch seinen Garten in Enzklösterle streifte. Er hinterließ Spuren im Schnee, durch Urin konnte sogar DNA gewonnen werden. Gesehen hat Hauser das Raubtier aber noch nie.

„Ich würde mich sehr freuen, dem Wolf mal zu begegnen“, sagt der Wildtier-Experte.

Wie diese Begegnung dann abläuft, weiß er dank der vielen Schilderungen ja bereits.

Autor: caw