Die Wahrheit liegt im Dialekt: Sprachwissenschaftler erforscht Flurnamen in Pforzheim und Enzkreis
Enzkreis/Pforzheim. Fast alle Ecken und Winkel des Enzkreises hat Peter Löffelad inzwischen schon bereist und dabei immer ein Aufzeichnungsgerät dabei gehabt. Aber nicht etwa, weil er Ornithologe ist und Vogelstimmen einfangen will. Er ist auch kein neugieriger Journalist und auch kein Privatdetektiv. Löffelad ist promovierter Sprachwissenschaftler und befasst sich seit den 1980er-Jahren mit Flurnamen, seit 1994 in seinem eigenen Institut, dem Ellwanger Institut für Sprachforschung (E.I.S.). Rund 30 Bücher hat der Wissenschaftler, der unter anderem Geologie, Geschichte und Germanistik studiert hat, zu dem Thema schon veröffentlicht. In zahlreichen Städten und Gemeinden ist er schon aktiv gewesen, auch in 27 der 28 Enzkreis-Gemeinden und in der Stadt Pforzheim – ohne dabei je die Faszination für seinen Forschungsgegenstand zu verlieren.

"Flurnamen sind so langlebig wie nichts anderes, überdauern Generationen und Bauwerke",
sagt Sprachwissenschaftler Peter Löffelad.
Weil sie „natürlich gewachsen“ sind, ist es nicht leicht, ihren Ursprung herauszufinden. Entstanden sind sie innerhalb einer Gemeinschaft aus der Notwendigkeit heraus, sich mit leicht merkbaren Begriffen über Orte und Lokalitäten zu verständigen. Sie sollten Orientierung im Gelände bieten, betrafen alle Bereiche des Lebens und sind oft über viele Generationen mündlich weitergegeben worden. Löffelad geht davon aus, dass nicht alle Flurnamen auf einmal entstanden sind. Namen für Gewässer und Berge hält er für die ältesten und erklärt, sie würden oft aus einer Zeit stammen, bevor die Menschen sesshaft wurden.
Wenn sich Löffelad in seiner Forschung mit ihnen auseinandersetzt, dann fragt er mit Blick auf das durch sie bezeichnete Gebiet nach Lage, Art, Nutzung und Gestalt. Es kann dabei um das Vorkommen bestimmter Tiere gehen, um die Art der Bäume in einem Wald, um die Beschaffenheit des Bodens, um den Anbau von Getreidesorten und um die Frage, ob Wälder gerodet oder Sümpfe trockengelegt wurden. Auch scherzhafte und emotionale Bezeichnungen findet er immer wieder. Und er hat festgestellt, dass Flurnamen nicht zwangsläufig alt sein müssen. Es gibt auch ganz neue, etwa den „Freibadbuckel“.
Auf die Aussprache kommt es an
Löffelad fragt immer zuerst nach der mündlichen Überlieferung, nach der Aussprache – denn die ist deutlich zuverlässiger als die schriftliche, weil es über die Jahrhunderte hinweg zu Veränderungen in der Schreibweise kommen kann. Dafür sucht er nach Gewährsleuten, die seit frühester Kindheit in dem Ort aufgewachsen und dort schon seit Generationen heimisch sind. Oft handelt es sich um Landwirte, für die Flur- und Gewannamen in ihrer täglichen Arbeit auch heute noch eine große Rolle spielen. Mit ihnen trifft Löffelad sich meistens direkt im Gelände und schaut sich die Stellen an, um die es geht. Mit seinem Aufzeichnungsgerät hält er dabei die „grundmundartliche Aussprache“ der Flurnamen fest. Diese vergleicht er anschließend mit der Schreibweise in aktuellen Karten und Dokumenten, um Unterschiede zu identifizieren. Anschließend folgt die historische Forschung in Primärkatastern, in Urnummernkarten, in Urkunden, in Feld-, Lager- und Steuerbüchern. Dabei gilt: „Je älter ein Beleg, desto wichtiger ist er für die Deutung.“ Am Ende trägt Löffelad mündliche, amtliche und historische Überlieferung zusammen, um eine möglichst korrekte Deutung abzugeben. Dabei müssen die Fakten zusammenpassen beziehungsweise Abweichungen logisch erklärbar sein.
In 27 der 28 Enzkreis-Gemeinden und in der Stadt Pforzheim ist der Wissenschaftler schon aktiv gewesen und hat mit Hilfe von Gewährsleuten Tonaufnahmen erstellt. Für Heimsheim läuft aktuell bereits die historische Forschung, bei der er weltliche und geistliche Lagerbücher konsultiert. Die Stadt sei ein Sonderfall, weil dort das Primärkataster verbrannt sei, sagt Löffelad, der mit seiner Arbeit in Heimsheim in den letzten Zügen ist: Zum Jahreswechsel soll eine Publikation erscheinen. In Pforzheim wird er im Frühling des kommenden Jahres einen Vortrag zu den bisherigen Ergebnissen halten. In der Goldstadt ist ihm aufgefallen, dass viele der Flurnamen in aktuellen, amtlichen Dokumenten „unrichtig“ geschrieben sind – dergestalt, dass sie nicht der aktuellen Rechtschreibung entsprechen. Stattdessen findet man oft eine Schreibweise von vor 1900. Eine einheitliche, standardsprachliche Schreibweise hält Löffelad vor allem deshalb für sinnvoll, weil mit ihr die Kommunikation deutlich erleichtert wird. „Sprache verändert sich“, sagt der Wissenschaftler und erklärt, man müsse zwischen gesprochener und geschriebener Sprache unterscheiden. Letztere müsse einheitlich sein, um überall von jedem verstanden zu werden.