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Neuenbürg -  20.02.2020
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Fotograf trachtet nach Tradition: Schloss Neuenbürg zeigt sensible Porträts von Trachtenfrauen

Neuenbürg. Ästhetisch, authentisch und würdevoll: Mit seinen Aufnahmen dokumentiert der Fotograf und Historiker Eric Schütt etwas, das langsam verschwindet, das es bald nicht mehr geben wird. Es sind einfühlsame Porträts alter Frauen, die historische Trachten tragen und als die letzten ihrer Art gelten. Die Bilder würdigen das Leben und ein fast vergessenes Erbe.

Trachtenbilder liegen im Trend. Dabei ist das Kleidungsstück bereits seit über 500 Jahren Ausdruck von Identität und Selbstbewusstsein ihrer Trägerinnen. Dies mag auch die große Beliebtheit des Themas bei Fotografen erklären, versuchen sie doch ein Stück weit, den Diskurs um Tradition und Heimat aufzugreifen und weiterzuführen.

Doch mit Hochglanzfotos von glamourösen Models hat die Ausstellung „Aus der Zeit gefallen? – Trachtenfrauen in Portraits“, die am Sonntag, 1. März, um 11 Uhr im Schloss Neuenbürg eröffnet wird, wenig gemein: Das Besondere an den Aufnahmen des Karlsruhers ist der leise, ungeschönte Blick auf die Bäuerinnen in ihrer unmittelbaren, privaten Umgebung – vor Kachelöfen und Holzschränken, in der Küche oder am Fenster. Die Hände sind häufig gefaltet. Alle seien authentisch, versichert der Fotograf. Nur wenige engagierten sich in Trachtenvereinen, die er aber neben Heimatmuseen und Büchern zur Recherche genutzt habe, um die Frauen zu finden. Einige waren sofort dabei, manche brauchten Überzeugungsarbeit, andere lehnten direkt ab. Im Elsass sei er einfach über die Dörfer gefahren und habe sich umgehört.

Schütt fotografiert analog. Er habe das Gefühl, die Bilder hätten mehr Seele als digitale. Sie sind streng quadratisch, wirken ruhig und still. Die Porträtierten lächeln nicht, schon gar nicht gekünstelt. „Wenn sie mich ein bisschen vergessen, ist es mir am liebsten“, sagt der 52-Jährige, der Kunstgeschichte, Geschichte und Philosophie sowie später bei Arno Fischer in Berlin Fotografie studiert hat.

Schütt startete sein Projekt bereits 2008. „Bei den ersten Fotos hatte ich das Gefühl, als wäre ich plötzlich in die Vergangenheit gebeamt worden.“ Beeindruckt von dieser aus der Zeit gefallenen Atmosphäre, legte er los. Zumal die Zeit gegen ihn läuft. Denn die Trachtenfrauen werden immer älter. Einige seien inzwischen bereits gestorben.

Schütt reiste durch ländliche Regionen, um mit vorwiegend hochbetagten Frauen Gespräche zu führen und sie dann in Szene zu setzen. So kam er nach Hessen ins evangelische und katholische Marburger Land und in die Schwalm, nach Ostdeutschland in die Lausitz zu den katholischen und evangelischen Sorbinnen, ins Schaumburger Land westlich von Hannover, ins Elsass, nach Franken in die Umgebung von Forchheim, ins Aichacher Land und natürlich in den Schwarzwald. Überall traf er noch Vertreterinnen einer Generation an, die ihre traditionellen regionalen Trachten tragen – an hohen kirchlichen Festtagen, an Sonntagen, manche von ihnen auch im Alltag.

Einen Bollenhut sucht man in der Ausstellung vergeblich. „Den gibt es nur in einem kleinen Tal, er wird aber gern fürs Marketing verwendet“, sagt Schütt, der 2017 den Publikumspreis beim Schömberger Fotoherbst gewann. Auch Männer zeigt er kaum. „Sie haben die Gewohnheit, Tracht zu tragen, schon länger abgelegt“, schildert Schütt. Traditionen üben auf ihn eine große Faszination aus. Seine erste Ausstellung vor gut zehn Jahren im Stadtmuseum Rastatt widmete sich alten Handwerksberufen.

Museumsleiterin Jaqueline Maltzahn-Redling hat die Ausstellung im Schloss Neuenbürg über persönliche Kontakte zu Schütt organisiert. Eine bemerkenswerte Zeitreise sei entstanden. „Die Gesichter sind Spiegel des Lebens“, sagt Maltzahn-Redling. Sie ergänzt die bis 21. Juni dauernde Schau mit zwei Originaltrachten aus dem Schwäbisch Hall des 19. Jahrhunderts sowie einer Fotostation, an der die Besucher ihre Gesichtsalterung simulieren können. Zu einigen Bildern gibt es Hörproben, auf denen die Porträtierten singen oder aus ihrem Leben erzählen.

Autor: mich