Gemeinden der Region
Mühlacker -  16.12.2025
Artikel teilen: Facebook Twitter Whatsapp

Jesidische Familie in Mühlacker unter Schock: Bruder kämpft nach Polizeieinsatz um Bleiberecht

Mühlacker. An diese Nacht im November denkt die Familie Alyusif nur mit Entsetzen zurück. Es ist 1 Uhr, als die Polizei an der Tür der jesidischen Migrantenfamilie Sturm klingelt, die sich vor ein paar Jahren in Mühlacker niedergelassen hat. Mehrere Beamte durchkämmen das Haus vom Keller bis zum Dach. Gesucht wird der 20-jährige Azeez Nawaf Gerdo Al-Yousuf, dessen Asylantrag trotz juristischen Einspruchs abgelehnt worden war. Der junge Mann mit irakischem Pass soll abgeschoben werden. Doch die Beamten treffen ihn nicht an. Seither ist er untergetaucht und sein Halbbruder Tag aldin Nawaf Girdu Alyusif kämpft mit anwaltlicher Hilfe um dessen Bleiberecht. Dabei hofft der eingebürgerte Friseurmeister, der in Karlsruhe ein Kiosk mit Lebensmittelverkauf betreibt, dass die Behörden letztlich doch ein Einsehen haben und umdenken.

Tag aldin Nawaf Girdu Alyusif (links) kämpft für seinen Halbbruder Azeez Nawaf Gerdo Al-Yousuf. Er hat ihm einen Ausbildungsplatz besorgt. Die Ausbildungsduldung ist vom Regierungspräsidium aber vorerst abgelehnt worden.
Tag aldin Nawaf Girdu Alyusif (links) kämpft für seinen Halbbruder Azeez Nawaf Gerdo Al-Yousuf. Er hat ihm einen Ausbildungsplatz besorgt. Die Ausbildungsduldung ist vom Regierungspräsidium aber vorerst abgelehnt worden. Foto: Alyusuf/privat

„Der Polizeieinsatz war ein Schock für die ganze Familie, besonders für meine Mutter und die drei jüngeren Geschwister, die aus dem Schlaf gerissen wurden – wir sind verzweifelt.“

Tag aldin Nawaf Girdu Alyusif

„Der Polizeieinsatz war ein Schock für die ganze Familie, besonders für meine Mutter und die drei jüngeren Geschwister, die aus dem Schlaf gerissen wurden – wir sind verzweifelt“, wendet sich Tag aldin Nawaf Girdu Alyusif mit seinem Anliegen bewusst an die Öffentlichkeit. Die Polizei habe angekündigt, wiederzukommen – für alle Familienmitglieder sei das traumatisch, schildert er die psychische Belastung.

Keine Duldung: Ausländerbehörde lehnt Asylantrag ab

Was der 25-Jährige partout nicht verstehen kann, ist die Haltung der deutschen Behörden in solchen Fällen. Denn sein Halbbruder lebt seit knapp vier Jahren hier, spricht gut Deutsch und besitzt einen Hauptschulabschluss. Am 11. November hatte das Ausländeramt der Stadt Mühlacker sogar eine Arbeitserlaubnis für den jungen Jesiden ausgestellt, dessen Familie zur verfolgten ethnischen Minderheit im Nordirak zählt. Allerdings ist die Genehmigung daran geknüpft, dass die Duldung des 20-Jährigen aufrechterhalten bleibt. Doch die Ausländerbehörde des Regierungspräsidiums (RP) Karlsruhe hat dagegen entschieden. „Ich habe viel mit der Behörde telefoniert und immer wieder darauf hingewiesen, dass diese Gesetzgebung nicht fair, nicht menschlich ist“, sagt Tag aldin Nawaf Girdu Alyusif auf Nachfrage. Schon kurz, nachdem sein Halbbruder die Arbeitserlaubnis erhalten habe, sei versucht worden, ihn abzuschieben, klagt der Geschäftsinhaber. „Mein Bruder will dem Staat nicht auf der Tasche liegen und hat keine Straftaten begangen. Er möchte einfach nur hier leben, arbeiten, sich integrieren und Teil dieser Gesellschaft sein“, sagt Tag aldin Nawaf Girdu Alyusif.

Beim Fall seines Halbbruders zeichnet sich nun zumindest ein kleiner Hoffnungsschimmer ab. In seinem neuen Friseurgeschäft hat ihm der Unternehmer einen Ausbildungsplatz besorgt. Doch den Antrag auf Ausbildungsduldung für die dreijährige Lehrzeit lehnte das Regierungspräsidium vorerst ab. Die Begründung: Für eine qualifizierte Berufsausbildung in einem staatlich anerkannten Ausbildungsberuf fehlten entsprechende Voraussetzungen. „Dagegen lege ich Einspruch ein und werde den Antrag neu formulieren“, kündigt Tag aldin Nawaf Girdu Alyusif an.

Entscheidender Integrationsschritt

Unterstützung erhält er dabei von Ercan Ablak, dem ehemaligen Lehrer seines Halbbruders, der an der Pforzheimer Carlo-Schmid-Schule seinen Hauptschulabschluss gemacht hat. Ablak weist im Rahmen eines Härtefallverfahrens nach Paragraf 23a des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) darauf hin, dass im Fall des 20-jährigen Azeez Nawaf Gerdo Al-Yousuf schulische Bildung, berufliche Perspektive und gesellschaftliche Teilhabe unmittelbar ineinandergreifen. „Aus pädagogischer Sicht stellt dies einen entscheidenden Integrationsschritt dar“, argumentiert der Lehrer. Bei einer Rückführung in den Irak käme erschwerend hinzu, sagt Ablak, dass der junge Jeside seine soziale Lebensgrundlage verlieren würde, weil die gesamte Familie mittlerweile in Deutschland lebe und es im Herkunftsland keine Angehörigen mehr gebe, die ihn aufnehmen oder unterstützen könnten.

Autor: pep