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Kreis Calw -  16.10.2021
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Nach den Vorfällen in Weinsberg: So sorgt die Psychiatrie für Sicherheit

Hirsau/Weinsberg. Fünf Männer sind innerhalb von drei Wochen aus der geschlossenen Station des Klinikums am Weissenhof im Kreis Heilbronn ausgebrochen. Bei dem Gedanken, dass teils verurteile Verbrecher auf freiem Fuß sind, läuft es so manchen aus der Region eiskalt den Rücken herrunter. Gleichzeitig werden aber auch Erinnerungen wach: Im April 2019 hat die Nachricht über die Flucht von vier Straftäter aus dem Hirsauer „Zentrum für Psychiatrie Calw – Klinikum Nordschwarzwald“ (ZfP) den Enzkreis und Pforzheim erreicht.

Glücklicherweise konnte die Polizei am Donnerstag zwei der Geflüchteten in Barcelona dingfest machen. Drei weitere sind jedoch noch auf freiem Fuß.Solche Vorfälle nimmt das Klinikum zum Anlass, seine Sicherheitsmaßnahmen kontinuierlich zu überprüfen.

Ausbruch in Hirsau

Das ZfP in Hirsau ist wie das Klinikum am Weissenhof eines von insgesamt sieben Zentren für Psychiatrie in Baden-Württemberg. Die ZfP versorgen psychisch kranke Menschen und Straftäter mit psychischen Problemen durch stationäre, teilstationäre und ambulante Behandlungsangebote. Die Einrichtung in Hirsau habe den Ausbruch aus dem ZfP Klinikum am Weissenhof in Weinsberg zum Anlass genommen, das Sicherheitskonzept zu überprüfen, so Matthias Wagner, Chefarzt und Medizinischer Direktor der Klinik für Forensische Psychiatrie und Psychotherapie in Hirsau. Auch wenn die Sicherheitsmaßnahmen der Klinik in regelmäßigen Abständen kontrolliert werden, würden aktuelle Ereignisse wie der Ausbruch dazu führen, dass die eignen Maßnahmen auf ihre Wirksamkeit geprüft werden, sagt der Chefarzt.

Auch an den Ausbruch im April 2019 kann sich der Mediziner gut erinnern und zeigt auf, was seitdem passiert ist: „Wir haben den Vorfall bei uns vor zwei Jahren zum Anlass genommen, diesen Vorfall zu analysieren und unsere Abläufe zu verändern und zu optimieren“, sagt Matthias. So ein Ausbruch solle sich auf keinen Fall wiederholen.

Das sind die Sicherheitsvorkehrungen in Hirsau 

Insgesamt seien die Sicherheitsvorkehrungen sehr komplex, so Wagner. Zum einen würden sie aus baulichen Maßnahmen wie Zäunen, Kameras und Gittern bestehen, zum anderen aus organisatorischen Abläufen. Wie diese genau aussehen, kann Wagner nicht preisgeben: Das Wissen über die Sicherheitsvorkehrungen solle nicht missbraucht werden um eine Flucht vorzubreiten. Auch intensive therapeutische Arbeit würde wie eine Bindung wirken. „Man muss motiviert sein, um bei einer Therapie mitzumachen“, so Wagner. Wenn der Patient verstehe, weshalb er da ist, würde auch die Behandlung funktionieren. Von Zwangstherapie hingegen halte der Mediziner nichts.

Therapie als Prävention

Der Chefarzt zieht den Mann, der vergangenen Samstag aus der offenen Station des ZfP Weinsberg geflohen ist, als Beispiel heran: Dort hätten die Patienten die Möglichkeit, in die Öffentlichkeit zu gehen. Eine enge therapeutische Bindung sorge dafür, dass die Therapiebedürftigen auch immer wieder zurück auf die Station kämen, so Wagner.

Was passiert bei einem Ausbruch? 

„Wir schulen unsere Mitarbeiter intensiv für ihre Arbeit und auch für Krisensituationen“, sagt der Medizinische Direktor. Zum einen würden Seminare zur Deeskalation einer solchen Lage stattfinden, zum anderen würde in Zusammenarbeit mit Beamten der Polizei auch geübt, wie sich das Personal in kritischen Situationen zu verhalten hat.

„Die Durchführung und Koordination der Fahndungsmaßnahmen übernimmt die Polizei“, Wagner

Sollte es wie vor zwei Jahren trotz der verbesserten Maßnahmen zu einem erneuten Ausbruch kommen, würden die Informationen umgehend an die Polizei weitergeleitet, so Wagner. Außerdem müsse auch die für die Unterbringung in der Einrichtung zuständige Staatsanwaltschaft kontaktiert werden. „Die Durchführung und Koordination der Fahndungsmaßnahmen übernimmt die Polizei“, sagt Wagner. Außerdem entscheide die Staatsanwaltschaft über die weitere Unterbringung des Patienten.

Spektakulärer Ausbruch aus der Psychiatrie vor zwei Jahren

Es war kurz nach 22 Uhr, als vier Männer im April 2019 aus dem Zentrum für Psychiatrie Calw – Klinikum Nordschwarzwald in Hirsau ausgebrochen sind. Die Männer, die damals zwischen 23 und 41 Jahre alt waren, hatten einer Pflegerin bei ihrem abendlichen Kontrollgang ihren Chip und das Telefon vom Gürtel gerissen, einem zweiten Pfleger, der zu helfen versucht hatte, die Luft mit dem Ellenbogen abgeschnürt und die beiden in einen Raum eingesperrt.

Nach ungefähr 20 Minuten wurden die Mitarbeiter von Kollegen gefunden. Der älteste Täter war mit einem abgebrochenen Kunststoffbesteck bewaffnet. Die Polizei veranlasste daraufhin eine Großfahndung mit Hubschrauber und Spürhunden. Das Quartett war wegen Suchtproblemen in der forensischen Abteilung der Einrichtung untergebracht.

Zwei der Männer wurden noch am gleichen Abend gefunden, die anderen zwei am Morgen danach. Die Geflüchteten mussten sich vor dem Landgericht in Tübingen wegen Raub, gefährlicher Körperverletzung, Nötigung und Freiheitsberaubung verantworten. Dafür bekamen die vier Geflüchteten eine Haftstrafe von jeweils knapp einem Jahr. Die Männer hatten zudem teils noch erhebliche Haftstrafen zu verbüßen.

Autor: Mireya Lemke